Hannelore - Druckversion +- Forum.GeschwisterNetzwerk.de (https://forum.geschwisternetzwerk.de) +-- Forum: Öffentliche Foren (https://forum.geschwisternetzwerk.de/forumdisplay.php?fid=3) +--- Forum: Vorstellungsrunde (https://forum.geschwisternetzwerk.de/forumdisplay.php?fid=18) +--- Thema: Hannelore (/showthread.php?tid=32) |
Hannelore - Hannelore - 02.12.2018 Hallo, ich bin 43 Jahre alt, bin verheiratet, habe zwei Kinder und zwei psychisch erkrankte Geschwister, beide mit ähnlichen Diagnosen (schizoaffektive Psychosen, meine Schwester zusätzlich noch eine bipolare Störung). Bei beiden Geschwistern ist die Krankheit am Ende der Pubertät ausgebrochen. Beide haben auch Drogen genommen, aber offensichtlich liegt die Krankheit auch in der Familie. Beide Geschwister haben alle paar Jahre akute Psychosen (häufig durch Absetzen der Medikamente und/oder Cannabis-Missbrauch), die am Ende immer in der Klinik behandelt werden müssen. Dann passieren Dinge, die man keinem Außenstehenden erzählen kann, so trug meine Schwester schon einmal den halben Hausrat samt Möbeln in den Vorgarten. Mein Bruder leidet dann unter extremem Verfolgungswahn, er zeigt Freunde und auch z.T. Verwandte bei der Polizei an, betätigt selbst häufig den Notruf, weil er sich bedroht fühlt, denkt, er wird abgehört und reißt die Deckenlampen runter, um nach Wanzen zu suchen, malt das Treppenhaus mit sonderbaren Symbolen an etc. Die Polizei nimmt das natürlich nicht ernst, aber für ihn ist es ein Alptraum, weil der ganze Wahnsinn für ihn real ist. Beide Geschwister waren schon gut zehn- bis zwölfmal in der Psychiatrie, manchmal monatelang. Zum Glück haben wir (Eltern, ich, Freunde) es immer wieder irgendwie geschafft, beide in akuten Phasen trotz fehlender Krankheitseinsicht in die Klinik zu bringen. Dazu sind immer irgendwelche Tricks nötig, um den Notarzt zu überzeugen, weil aus rechtlicher Perspektive oft keine Fremdgefährung vorliegt, wir aber sonst keine Möglichkeit gesehen hätten, den Geschwistern aus der Psychose zu helfen. Man hat dann ein schlechtes Gewissen, sie gegen ihren Willen in die Klinik gebracht zu haben und wird dafür noch beschimpft, oft auch später noch, wenn dann alles wieder halbwegs ok ist. Es ist eine wirklich undankbare Rolle, die einen fast verzweifeln lässt. Man möchte helfen, weiß nicht wie, und dann erntet man auch noch Beschimpfungen und Vorwürfe. Was man sonst hätte tun oder lassen sollen, sagt einem niemand, auch die Geschwister nicht (wäre es besser, sie in der Psychose sich selbst zu überlassen, um ihre Würde nicht zu verletzen? Dann wären sie wahrscheinlich dauerhaft psychotisch.) Meine Rolle als jüngste Schwester in der Familie war immer: bloß nicht über die Stränge schlagen, die Eltern nicht noch mehr belasten, vernünftig sein, immer aller Erwartungen erfüllen, wenn es schon die anderen nicht tun. Von mir wird immer ein kluger Rat, ein offenes Ohr, Unterstützung, Sachlichkeit etc. erwartet. Das alles wird als selbstverständlich hingenommen, da ich gewissermaßen als privilegiert angesehen werden, weil ich das Glück habe, "gesund" zu sein. Ich wohne als einzige in der Familie in einer anderen Stadt, ca. 80 Kilometer von meiner Heimatstadt entfernt. Diese Distanz ist wichtig für mich. Trotzdem haben wir alle sehr viel Kontakt, sicherlich mehr, als es in unserem Alter üblich wäre, wenn alle arbeiten würden, eine Familie hätten o.ä. Ich fühle mich manchmal wie die Therapeutin und Sozialarbeiterin der Familie, obwohl ich das natürlich nicht bin und auch nicht sein möchte. Meine Eltern sind inzwischen alt und völlig verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie es mit meinen Geschwistern weitergehen soll. Meine Schwester will jetzt nach einer sehr langen depressiven Phase auch noch ihren Teilzeitjob kündigen, der über viele Jahre eine wichtige Konstante in ihrem Leben war. Dann hängt sie wahrscheinlich nur noch depressiv zu Hause herum. Mein Bruder lebt von Sozialhilfe und in den Tag hinein. Im Moment lläuft ein Betreuungsverfahren, mit offenem Ausgang. Er hatte schon mal einen Betreuer, aber den ist er irgendwie wieder losgeworden (geholfen hat er ihm auch nicht). Mir wird regelrecht schlecht bei dem Gedanken, was wird, wenn meine Eltern mal nicht mehr da sind. Ich habe das Gefühl, ich habe für die gesamte Familie die Verantwortung. Wenn meine Geschwister das jetzt lesen würden, würden sie wahrscheinlich auch noch sagen: was bildest du dir ein? RE: Hannelore - Reinhard - 10.12.2018 Liebe Hannelore, Deine Vorstellung ist bedrückend, die Ansprüche Dir gegenüber sind unübersehbar - und Du weißt natürlich, dass diese ungerechtfertigt sind und dass Du sie sicher auch gar nicht erfüllen kannst: Jeder in der Familie ist für sich verantwortlich, auch die erkrankten Geschwister. Allerdings gibt es immer mal wieder Zeiten, wo jemand anderes für die Erkrankten die Verantwortung übernehmen muss - aber deutlich gemacht, dass das nun so ist für einen umschriebenen Auftrag (Betreuer) oder Zeitraum (das können auch Familienmitglieder sein). Das Problem Deiner Eltern mit der Frage, wie es sein wird, wenn sie nicht mehr sind oder ganz und gar nicht mehr können treibt fast alle Eltern von psychisch Erkrankten um (so wie die Eltern von Geistig Behinderten, Drogenabhängigen, etc. etc.). Die überkluge Antwort ist: Sie müssen sich, solange sie es noch können, um eine Lösung mit einer professionellen Einrichtung bzw. einem Dienst kümmern; das ist zwar nicht falsch, hilft Ihnen aber nicht! Sie wünschen sich von Herzen, dass es irgendwie so weiter gehen könnte (zumindest was die positiven Seiten ihres Kümmerns sind) wie bisher - und da kommst Du natürlich ins Spiel! "Du, die Schwester, wer denn sonst? Die Profis haben immer mal geholfen, aber letztlich standen wir immer wieder alleine da". In Mainz wird es im Juli und in Hamburg im Spätherbst (Nov?) je eine Veranstaltung zu exakt dem Thema geben, wo sich Geschwister und Eltern zu diesem Thema treffen, in Mainz steht dieser Aspekt exakt in der Einladung. Zwar werde ich als Moderator dabei sein, allerdings weiß ich nicht, ob der veranstaltende Verein nur Mitglieder einlädt oder "zulässt" oder nicht, sobald ich mehr weiß schreibe ich es Dir hier. Nachmals Danke für den beeindruckenden Text. Liebe Grüße Reinhard |