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Panik vor der weiteren Entwicklung - Druckversion

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Panik vor der weiteren Entwicklung - Nick - 10.03.2018

Ich hatte mich vor einiger Zeit schon kurz vorgestellt und wollte längst mehr über die Situation mit meiner Schwester berichten - aber dann kam immer viel dazwischen - darunter auch sie. 
 
Aktuell ist die Situation so katastrophal, dass ich gar nicht mehr weiß, wie es weiter gehen soll. Daher kommt jetzt ein ganz langer Bericht.
 
Wir sind drei Schwestern - ich bin die jüngste, die älteste ist krank. Mein Vater ist nach langer Krankheit vor etwa 15 Jahren verstorben, meine Mutter leidet bereits seit vielen Jahren unter Demenz. 
 
Meine Schwester - Ende 50 - war schon immer hochgradig sensibel, kompliziert und kam mit dem Leben nicht gut zurecht. Ich habe dem wenig Aufmerksamkeit geschenkt; sie ist sieben Jahre älter als ich und wir hatten nie ein gutes Verhältnis. Auch dass ihre Geschichten zunehmend komplizierter und ihr Verhalten immer sonderbarer wurde, habe ich so gut wie möglich ignoriert. Sie ging mir immer auf die Nerven. Seitdem ich erwachsen bin, brauchte sie immer Geld, wenn sie sich meldete oder wollte dass ich irgendwelche Probleme für sie lösen. Und ich wollte sie nur möglichst schnell loswerden. 
 
Vor etwa 10 Jahren - also erste sehr spät - hatte sie dann eine Psychose. Sie hatte einen Job, mit dem sie sich mehr schlecht als recht über Wasser hielt und ihre Kollegen riefen mich an. Es gab akuten Stress, weil sie völlig absurde Aussagen zum Unternehmen verbreitete - unter anderem hatte sie eine E-Mail an den Gesamtverteiler geschickt, in der sie Verschwörungstheorien äußerte und berichtete, der Vorstand sei zurückgetreten. Ihr wurde schließlich gekündigt, weil sie keine Krankheitseinsicht hatte und keine Fehlverhalten erkennen wollte.
 
Ich bin mit unserer mittleren Schwester damals direkt nach dem Anruf zu ihr gefahren. Es war eine furchterregende Erfahrung. Sie saß vor dem PC, tippte in ein Word-Dokument und erklärte uns, dass sie mit Menschen virtuell zusammenarbeite. Sie dürfe den Platz nicht verlassen, sonst würden die ungeduldig und dann würde die ganze Wohnung beben. Uns ist es schließlich gelungen, sie in die Psychiatrie zu bringen und sie hat sich selbst eingewiesen. Leider hat sie eine Behandlung weitestgehend abgelehnt, sich Medikamenten verweigert und auch im Anschluss an den Aufenthalt nach wenigen Sitzungen die Therapie abgebrochen. Sie war davon überzeugt, dass die Therapeutin nicht kompetent genug sei und nicht genug Verständnis für sie und ihre Situation habe – der gleiche Vorwurf, den sie schon allen Ärzten in der Klinik gemacht hatte. Als es ihr noch einmal schlechter ging, ist sie dennoch zurück in die Klinik gegangen. Insgesamt hat sich ihr Zustand massiv verbessert und sie hatte keine - für mich ersichtlichen - Wahnvorstellungen mehr. 
 
Meine mittlere Schwester und ich bemühen uns seitdem, regelmäßiger Kontakt zu halten und sie öfters zu sehen. Das war und ist extrem kraftraubend, weil die Krankheitseinsicht weiter vollständig fehlt und sie ihre Situation absolut nicht realistisch einschätzen kann, was absehbar zu immer neuen Katastrophen führt. Zudem macht sie uns immer wieder fürchterliche Vorwürfe. Sie ist der Ansicht, dass sie seit vielen Jahren fest angestellt wäre, wenn nicht der – von uns verschuldete – völlig unnötige Psychiatrieaufenthalts wäre und wir ihr daher mindestens 250.000 Euro schuldeten. 
 
Weil ihr Verhalten schlicht unerträglich ist, hat sie außer uns inzwischen praktisch keine Kontakte mehr. Sie war lange in einer Kirchengemeinde aktiv, aber kam mit immer wilderen Verschwörungstheorien, die darin gipfelten, man habe sie umbringen wollen. Inzwischen ist sie aus der Kirche ausgetreten.
 
Sie schickt regelmäßig seitenlange E-Mails mit wilden Geschichten und Vorwürfen. Mal bezeichnet sie mich als ihre verantwortungsvolle, hilfreiche Schwester und große Stütze (was ich als fürchterliche Belastung empfinde), dann kommen kurze Nachrichten, in denen sie mich auffordert ihr wenigstens beim Sterben zu helfen, wenn ich ihr schon nicht die Unterstützung leiste, um zu leben. Wenn ich dann besorgt anrufe, ist sie längst mit etwas ganz anderem beschäftigt. Einmal drohte sie mit Selbstmord und sagte - nachdem ich panisch in der Psychiatrie angerufen hatte, um mich beraten zu lassen - sie hätte keine Zeit zu telefonieren, sie müsse Wäsche waschen.
 
Das alles ändert nichts daran, dass wir versuchen, sie vor größeren Katastrophen zu bewahren. Leider sind diese Bemühungen – wenn man es realistisch sieht – völlig vergebens. Mit fällt es unglaublich schwer, dass zu akzeptieren, denn bei jeden gesunden Menschen wäre das gar kein Problem.
 
Sie hatte z.B. eine Wohnung, die zu teuer war, als dass sie sie mit ihren Einkünften - als Freiberufler oder Hartz 4 - hätte finanzieren können. Wir haben mit ihr dann eine bezahlbare Wohnung gesucht und alles für den Umzug organisiert. Ich wollte zu ihr fahren, um zu helfen, da teilte sie mir mit, sie werde nicht umziehen. Sie war überzeugt, dass es nur ein kurzfristiger finanzielle Engpass sei und sie sich mit ihren zukünftigen Einkünften ihre Wohnung locker würde leisten können. Ihr Vermieter hat ihr dann gekündigt und sie landete in einem Heim für obdachlose Frauen. Dabei war „meine Schwester obdachlos“ immer eine meiner absoluten Panikvorstellungen. Eine der Situationen, die ich um jeden Preis verhindern wollte. Interessanter Weise ist es ihr schließlich alleine gelungen, ein neues Apartment zu finden.
 
Jetzt wird sie ins Gefängnis kommen - wegen Schwarzfahren. Der Haftantrittstermin ist verstrichen und sie verbringt die Zeit vorm PC, um Einspruch zu erheben. Ihr war Freiwilligenarbeit angeboten worden, aber sie findet das für jemand mit ihrem Ausbildungsstand nicht zumutbar. Sie sagt, sie will lieber im gelernten Beruf Geld verdienen, um die Strafe zu bezahlen. Sie arbeitet ununterbrochen an Bewerbungen, aber natürlich beschäftigt sie niemand mehr.
 
Der zweite Grund: Sie ist davon überzeugt, dass alle Leute sie dort schräg angucken würden und das hielte sie nicht aus. Sie denkt, dass sie das Opfer einer Weltverschwörung ist und Investoren, die ihren ehemaligen Arbeitgeber kaufen wollen, unbegrenzte Finanzmittel einsetzen, um ihren Ruf zu zerstören und Gerüchte zu verbreiten. Dass sei der Grund, warum Menschen den Kontakt abrechen und sie keine Arbeit mehr finde. Es gäbe beispielsweise Gerüchte, sie hätte mehrfach abgetrieben und sei quasi eine Kindermörderin. Bei der Verbreitung dieser Information spiele ihre Gynäkologin eine große Rolle, die Falschaussagen wegen der Behandlung mache und die ärztliche Schweigepflicht verletzt habe. Eine entsprechende Bewertung hat meine Schwester auf Jameda eingestellt. Jetzt ist ihr Profil gesperrt und sie sucht andere Plattformen, um diese Information öffentlich zu machen, weil sie es unbedingt „richtigstellen“ will. Jeder Versuch, sie davon abzuhalten, ist völlig vergebens.
 
Inzwischen fängt sie an anzudeuten, dass auch unsere mittlere Schwester von den Gerüchten beeinflusst würde und zieht sich zunehmend von ihr zurück. Statt dessen ruft sie mich z.T. 5x am Tag an und schickt zusätzlich noch Mails.  
 
Ich bin wirklich verzweifelt. Ich wünsche mir seit 25 Jahren, den Kontakt mit ihr abzubrechen, weil sie eine viel zu große Rolle in meinen Leben spielt und ich die Beziehung als unglaubliche Belastung empfinde. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass ich das nicht darf – und die völlig irrige Ansicht, dass es mir gelingen könnte, sie vor irgendwelchen Katastrophen zu beschützen. Dabei sollte ich es längst besser wissen.


RE: Panik vor der weiteren Entwicklung - maulwürfel - 10.03.2018

Hallo liebe Nick,

deine Geschichte ist ja sehr schlimm. Wir sind auch 3 Schwestern. Bei uns ist es die mittlere Schwester, die krank ist, und auch ich bin die Jüngste. Meine älteste Schwester hat den Kontakt zu meiner kranken Schwester auf ein Minimum reduziert. Sie hat mal zu mir gesagt, das was du machst könnte ich nicht. Ich habe dann geantwortet, das habe ich mir auch nicht ausgesucht, ich hätte auch lieber gerne ein Leben ohne eine psychisch kranke Schwester. Aber mein Denken ist dann immer, wenn ich ihr nicht helfe, dann hat sie gar keinen mehr. Meine Mutter ist schon 2005 an Krebs gestorben.Wir hatten ein sehr gutes Verhältniss, aber nach dem Tod von ihr, ist unsere Familie irgentwie auseinander gebrochen. Unser Vater lebt seit letztem Jahr im Heim. Aber er war auch vorher keine Hilfe für mich, eher im Gegenteil. Sein Motto war immer, das sind halt alles neumodische Krankheiten, die gab es bei uns früher nicht. Na ja , das lasse ich mal unkommentiert im Raume stehen. Du hast in dem anderen Beitrag von mir geantwortet, vielleicht suchen sich die Kranken ja Hilfe, wenn sie keinen Mülleimer, also uns, haben, in dem sie alles abladen können.

Das war sehr gut geschrieben, ich habe mir das auch so oft überlegt. Oft denke ich auch, gehe gar nicht ans Telefon, wenn sie anruft. Lass es einfach bimmeln, ich habe dann gar keine Lust mehr die nächsten Katastropen zu hören. Wir haben ja auch nur dieses eine Leben und ich mache das jetzt schon seit 1999 mit. Aber natürlich mache ich das nicht. Und es geht so weiter, wie bisher. Interessant finde ich auch , das deine Schwester auch der Kirche zugetan war, das ist meine Schwester noch.

Wie ich bereits geschrieben habe, die Geschichten sind fast alle gleich. Ich kann auch keinen Rat geben. Ich kann dir nur auch alles Gute wünschen. Ich finde, wenn man seine Geschichte aber mitteilt, tut das schon etwas gut, und wenn man merkt, anderen geht es auch so, geht es einem ein bißchen besser.

Alles Gute für dich und alle anderen hier im Forum.


RE: Panik vor der weiteren Entwicklung - Nick - 12.03.2018

Liebe Maulwürfel,

danke für Deine Antwort! Dein Zuspruch hilft - und auch von den Geschichten anderer zu hören.

Es tut mir schrecklich leid, dass Du mit Deiner Schwester ganz auf Dich gestellt bist. Ich bin unglaublich erleichtert, dass ich eine Schwester an der Seite habe, mit der ich alles gemeinsam durchstehe. Und wenn es eine mal gar nicht ertragen kann, dann kümmert sich die andere. Das hilft sehr. 

Das war übrigens nicht immer so, daran hat mich Dein Bericht erinnert. Ich habe ja auch kranke Eltern. Mein Vater hatte einen Herzstillstand und war danach schwerst pflegebedürftig. Meine Mutter hat sich zuhause um ihn gekümmert und es war fürchterlich. Ich habe mich völlig zerrissen gefühlt und konnte gar nicht genug helfen. Ich habe dann versucht, Druck auf meine Schwestern auszuüben - vor allem auf die Mittlere - damit sie mehr für unsere Mutter tut und mich damit gleichzeitig entlastet. Sie hat sich geweigert und wir haben uns oft und lange fürchterlich gestritten. Ich habe Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass wir tatsächlich eine unterschiedliche Wahrnehmung hatten, was erforderlich ist und evtl. auch, was wir leisten können. Ich wollte meine Schwester zwingen, dass wir MEINEN Vorstellungen gerecht werden. Ihre waren aber ganz anders. Irgendwann habe ich das akzeptiert und seitdem haben wir wieder ein entspanntes Verhältnis zueinander und stehen einander bei (und in Bezug auf unsere Schwester stimmen unsere Vorstelllungen ja zum Glück überein). Mein Vater ist inzwischen verstorben, aber ich besuche weiter viel öfter meine Mutter. Inzwischen ist das für mich O.K.. Für mich ist es einfach wichtiger. 

Die Frage, wie stark unsere Persönlichkeit - unser Verhalten, unsere Erwartungen, unsere Werte, usw. - den Umgang mit unseren kranken Angehörigen und auch wiederum ihr Verhalten beeinflussen, treibt mich aktuell ganz gewaltig um. Meine kranke Schwester kann ich zu nichts "zwingen". Wenn ich mit der Situation nicht mehr zurecht komme, kann ich nur meinen Umgang mit ihr verändern. Meine Schwester wird mir weiter seitenlange E-Mails schreiben und mich beliebig oft anrufen - immer wenn ihr irgendetwas einfällt. Ich kann mich nur entscheiden, die Mails nicht zu lesen oder nicht ans Telefon zu gehen. Ich kann es verstehen, dass Dir das nicht möglich ist. Ich schaffe es (bisher) auch nicht. 

Wie absurd das ist, merke ich aktuell. Meine Schwester will sparen und hat ihr Handy nicht aufgeladen. Und ich erlebe das als wahnsinnige Erleichterung. Wegen des Haftantritts würde sie sicher auch sonst nicht telefonieren, deshalb macht mich das jetzt nicht verrückt. Aber natürlich ist es eine Einschränkung für sie. Und die erlebe ich positiv, nur weil es mir nicht gelingt, mir selbst zu helfen? Das ist doch krank, unfassbar gemein und ganz bestimmt der falsche Ansatz.

Ich denke, das ist noch einmal ein Thema für einen separaten Beitrag. Ich würde gerne hören, wie es anderen geht und werde versuchen dazu Ende der Woche eine Diskussion zu eröffnen.  

Alles Liebe

Nick