28.01.2021, 14:14
Liebe Geschwister,
bis auf meine Vorstellung vor langer Zeit habe ich in diesem Forum nur gelesen.
Nun beschäftigt mich seit einiger Zeit eine Frage, die in den letzten Tagen sehr viel konkreter noch geworden ist.
Die Frage ist: werde ich sichtbar? Mit allen möglichen Folgen. Selbst hier, wo ich einen geschützten Raum vermute, gebe ich nicht meinen echten Namen preis.
Meine ältere Schwester hat seit gut 30 Jahren eine paranoide Schizophrenie. Wir haben nicht viel Kontakt. In schlechten Zeiten bin auch ich Ziel Ihrer Aggressionen, Beschimpfungen, etc.
Als sie vor drei Jahren dann bei mir im Büro unzählbare Nachrichten hinterließ, hat mich das ein wenig aus der Bahn geworfen. Ich hatte kurz zuvor eine leitende Position übernommen, in der ich sichtbarer wurde. Das war nicht meine Intention, ganz im Gegenteil, gehörte aber hier und da dazu. Ich habe meinen Bereich in Netzwerken vertreten, bin auf der Homepage entsprechend aufgetaucht, etc.
Nun habe ich mich beruflich verändert, bin nach wie vor im sozialen Bereich tätig. Als die Sprache darauf kam, dass ich nun auch mal als Teil des Teams mit Bild, Name und Kontakt auf der Homepage auftauchen soll, wurde ich nervös, bekam ich Angst. Das hat mich selbst sehr überrascht. Ich hatte Angst, dass meine Schwester sieht, wo ich arbeite, dass allein das sie schon wieder triggern könnte. Ich habe das Gespräch mit meiner Chefin gesucht und erstmal ihr und später auch den Kolleg:innen einen ganz kleinen Teil meiner Geschichte erzählt.
Ich bin nicht auf der Homepage. Und für meine Arbeit ist es totaler Mist! Von Außenstehenden werde ich laufend darauf angesprochen. Nach eineinhalb Jahren fallen mir auch keine Ausreden mehr ein.
Gut, damit kann ich irgendwie leben, wenngleich sich in mir immer mehr Wut darüber aufbaut, dass ich mich "verstecke", meine beruflichen Möglichkeiten ungenutzt lasse und Angst mein Berater ist.
Nun hat sich noch etwas Neues ergeben: in beruflichem Kontext habe ich mit der Psyhiatriekoordinatorin des Landkreises zu tun, nicht schwerpunktmäßig. Sitze aber mit in einem "Bündnis gegen Depression" eben als Vertreterin des Trägers, für den ich tätig bin.
Die Koordinatorin wandte sich nun an mich mit der Suche nach einem:r Vertreter:in für die Seite der Angehörigen psychisch erkrankter Menschenfür die Psychiatriekonferen des Landkreises.
Dass ich Angehörige bin, weiß sie nicht. Sie bat mich, das mal in meinem Netzwerk zu streuen. Da gibt es niemand, der/die sich dafür interessiert oder Ressourcen hat.
Und was passiert: ich überlege ernsthaft, ob ich mich nicht dafür melde.
Das heißt aber auch, ich werde sichtbar. Nicht nur irgendwie, sondern ganz explizit mit dem Thema.
Ich wälze "Für und Wider".
Dagegen spricht:
- meine Angst vor möglichen Reaktionen (auch in der Öffentlichkeit) meiner Schwester
- eine Scham (die ich nicht haben müsste, die aber da ist)
- die Sorge von Menschen, die mich bisher als qualifizierte Fachkraft wahrgenommen haben, anders angeschaut zu werden
- wenn ich das Bedürfnis habe, diesen Teil meines Lebens einfach mal für eine Zeit verdrängen möchte, wird das so einfach nicht mehr möglich sein, denn ich spüre dann eine gewisse Verantwortung
- ich bin gerade dabei mich nebenberuflich selbständig zu machen, weiter im non-Profit-Bereich, aber weg aus dem psychosozialen, perspektivisch will ich da einfach ganz raus
- und diffuse andere Gefühle, die ich gerade noch nicht so richtig greifen kann und formulieren kann
Dafür spricht:
- ich weiß, dass ich aufgrund meiner beruflichen Erfahrung in Gremien und Netzwerken gut könnte
- weil wir alle so oft und so lange unsichtbar sind, würde ich sehr gerne einen Beitrag leisten, den Blick zu erweitern
- ich könnte meine Erlebnisse und Erfahrungen in einem größeren Sinnzusammenhang sehen
- und vor allem: dieser Gedanke lässt mich einfach nicht mehr los
Mich interessiert, ob auch ihr solche, ähnliche Situationen kennt. Wie geht es euch damit? Welche Entscheidungen habt ihr getroffen?
Ich bin gespannt und danke euch jetzt schon mal.
Summer
bis auf meine Vorstellung vor langer Zeit habe ich in diesem Forum nur gelesen.
Nun beschäftigt mich seit einiger Zeit eine Frage, die in den letzten Tagen sehr viel konkreter noch geworden ist.
Die Frage ist: werde ich sichtbar? Mit allen möglichen Folgen. Selbst hier, wo ich einen geschützten Raum vermute, gebe ich nicht meinen echten Namen preis.
Meine ältere Schwester hat seit gut 30 Jahren eine paranoide Schizophrenie. Wir haben nicht viel Kontakt. In schlechten Zeiten bin auch ich Ziel Ihrer Aggressionen, Beschimpfungen, etc.
Als sie vor drei Jahren dann bei mir im Büro unzählbare Nachrichten hinterließ, hat mich das ein wenig aus der Bahn geworfen. Ich hatte kurz zuvor eine leitende Position übernommen, in der ich sichtbarer wurde. Das war nicht meine Intention, ganz im Gegenteil, gehörte aber hier und da dazu. Ich habe meinen Bereich in Netzwerken vertreten, bin auf der Homepage entsprechend aufgetaucht, etc.
Nun habe ich mich beruflich verändert, bin nach wie vor im sozialen Bereich tätig. Als die Sprache darauf kam, dass ich nun auch mal als Teil des Teams mit Bild, Name und Kontakt auf der Homepage auftauchen soll, wurde ich nervös, bekam ich Angst. Das hat mich selbst sehr überrascht. Ich hatte Angst, dass meine Schwester sieht, wo ich arbeite, dass allein das sie schon wieder triggern könnte. Ich habe das Gespräch mit meiner Chefin gesucht und erstmal ihr und später auch den Kolleg:innen einen ganz kleinen Teil meiner Geschichte erzählt.
Ich bin nicht auf der Homepage. Und für meine Arbeit ist es totaler Mist! Von Außenstehenden werde ich laufend darauf angesprochen. Nach eineinhalb Jahren fallen mir auch keine Ausreden mehr ein.
Gut, damit kann ich irgendwie leben, wenngleich sich in mir immer mehr Wut darüber aufbaut, dass ich mich "verstecke", meine beruflichen Möglichkeiten ungenutzt lasse und Angst mein Berater ist.
Nun hat sich noch etwas Neues ergeben: in beruflichem Kontext habe ich mit der Psyhiatriekoordinatorin des Landkreises zu tun, nicht schwerpunktmäßig. Sitze aber mit in einem "Bündnis gegen Depression" eben als Vertreterin des Trägers, für den ich tätig bin.
Die Koordinatorin wandte sich nun an mich mit der Suche nach einem:r Vertreter:in für die Seite der Angehörigen psychisch erkrankter Menschenfür die Psychiatriekonferen des Landkreises.
Dass ich Angehörige bin, weiß sie nicht. Sie bat mich, das mal in meinem Netzwerk zu streuen. Da gibt es niemand, der/die sich dafür interessiert oder Ressourcen hat.
Und was passiert: ich überlege ernsthaft, ob ich mich nicht dafür melde.
Das heißt aber auch, ich werde sichtbar. Nicht nur irgendwie, sondern ganz explizit mit dem Thema.
Ich wälze "Für und Wider".
Dagegen spricht:
- meine Angst vor möglichen Reaktionen (auch in der Öffentlichkeit) meiner Schwester
- eine Scham (die ich nicht haben müsste, die aber da ist)
- die Sorge von Menschen, die mich bisher als qualifizierte Fachkraft wahrgenommen haben, anders angeschaut zu werden
- wenn ich das Bedürfnis habe, diesen Teil meines Lebens einfach mal für eine Zeit verdrängen möchte, wird das so einfach nicht mehr möglich sein, denn ich spüre dann eine gewisse Verantwortung
- ich bin gerade dabei mich nebenberuflich selbständig zu machen, weiter im non-Profit-Bereich, aber weg aus dem psychosozialen, perspektivisch will ich da einfach ganz raus
- und diffuse andere Gefühle, die ich gerade noch nicht so richtig greifen kann und formulieren kann
Dafür spricht:
- ich weiß, dass ich aufgrund meiner beruflichen Erfahrung in Gremien und Netzwerken gut könnte
- weil wir alle so oft und so lange unsichtbar sind, würde ich sehr gerne einen Beitrag leisten, den Blick zu erweitern
- ich könnte meine Erlebnisse und Erfahrungen in einem größeren Sinnzusammenhang sehen
- und vor allem: dieser Gedanke lässt mich einfach nicht mehr los
Mich interessiert, ob auch ihr solche, ähnliche Situationen kennt. Wie geht es euch damit? Welche Entscheidungen habt ihr getroffen?
Ich bin gespannt und danke euch jetzt schon mal.
Summer