Auswirkungen einer psychischen Erkrankung auf die ganze Familie
#1
Hallo,
ich bin 62 Jahre, Bruder einer seit 45 Jahren Border Line/Essstörung erkrankten Schwester (48) und eines depressiven Bruders (60). Die erkrankte Schwester lebt im Haushalt unsere Eltern (86/92).
Die 45 jährige Sorge und das Bemühen um Gesundung ihrer Tochter bestimmen das Leben unserer Eltern, wirken sich in vieler Hinsicht belastend auf die Stammfamilie und meine eigene Familie (3 Kinder) aus. Meine Eltern haben ausschließlich ihre Tochter im Blick und dabei "die Realität" aus dem Blick verloren. Der Familie ist darüber zerbrochen. Aktuell eskaliert die Situation, da unsere Eltern vor ihrem naherückenden Lebensende unbedingt meine Schwester "gesund" machen wollen, um beruhigt die Augen zu schließen. Dazu versuchen sie alle Familienmitglieder zu ihrer eigenen Sichtweise und zugehöriger Unterstützung meiner Schwester zu zwingen. Das geht bis zur angedrohten Enterbung und dem "Ausschluß aus der Familie". Was meine Schwester bislang nicht gesund machte, wird jedoch jetzt auch nicht erfolgreich sein.
Während der Beschäftigung mit dieser Situation entdecke meine "lebenslange" Vernachlässigung durch die Eltern, deren Interesselosigkeit an mir als "Gesundem", das nie endende Zurückstehen und in die hintere Reihe geschoben Sein, meine Verletzung, Eifersucht und Wut auf Eltern und Schwester. Ich fühle mich schuldig für diese Gefühle und gleichzeitig nicht bereit, das elende Spiel weiter mitzuspielen. 
Hat jemand Erfahrung aus vergleichbarer Situation und kann Rat zum Umgang mit diesen starken Gefühlen geben? Wo finde ich in diesem Forum Beiträge, die sich damit beschäftigen, wie die Erkrankung einer Person die Familie zerstört und auch wie Kranke ihre Krankheit als "Krankheitsgewinn" machtvoll zur Durchsetzung eigener Ziele einsetzen?
Vielen Dank und lieben Gruß
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#2
Hallo Stefan Irmler,
es gibt in diesem Netzwerk viele Beiträge die sich damit beschäftigen. Es gibt nur keine Kategorisierung oder etwas in der Art. Für mich war es anfangs sehr hilfreich mir nach und nach alle Beiträge durchzulesen und es half mir dann immer noch mehr, wenn ich einen Beitrag fand, der sich mit meiner eigenen Geschichte vergleichen lässt.
Meine Schwester ist mittlerweile 44 Jahre alt. Es begann mit Essstörungen und ging weiter mit Depressionen, Borderline-Syndrom und die letzte mir bekannte Diagnose lautet DIS. Meine aktuelle Situation ist zwar vollkommen anders als bei Ihnen, weil meine Schwester schon vor sehr langer Zeit von unserem damaligen Zuhause wegzog und "flüchtete". Hauptsächlich ihr selbst zuliebe, um weiter Leben zu können. 
Was mir bis Heute blieb ist ein "großer Stein" der auf meinen Schultern liegt. Manchmal erscheint er mir größer, manchmal kleiner. Da ist er immer. Manchmal habe ich Angst erdrückt zu werden, bis ich mich irgendwie wieder davon befreien kann. Wir gesunden Geschwister können meist für nichts etwas, sind aber gleichzeitig die die am meisten "aushalten" müssen. Daher sind die Gefühle die sie beschreiben absolut nachvollziehbar und nichts wofür man sich schämen muss. Ich glaube alle "gesunden Geschwister" kennen diese Gefühle mehr oder weniger, weil es einfach nicht anders geht...
Wie auch immer, mir hat es in den letzten Jahren am meisten geholfen eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen und mich mit anderen "Geschwistern" auszutauschen. Vielleicht wäre das auch etwas für Sie? Außerdem kann ich Ihnen die Mutmachleute www.mutmachleute.de empfehlen. Dort geht es auch viel um solche Themen. Die Sicht von Betroffenen und Angehörigen, vor allem Geschwistern.
Ich hoffe, das hilft Ihnen etwas weiter. Wünsche Ihnen für Ihre Familiensituation viel Glück und das Allerbeste. Achten Sie vor allem auf sich und Ihr Wohlbefinden. Bei mir ist/war es immer so, dass ich niemandem weiterhelfen konnte, nicht mal mir selbst, solange ich immer nur auf alle anderen geschaut habe und erst zuallerletzt auf mich selbst... Seit ich mehr auf mich und mein Wohlbefinden achte geht es mir viel besser und auch mein direktes Umfeld spürt das und kann sich daraus etwas Gutes abzweigen.
Beste Grüße,
werwoiss
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#3
Ich kann es in gewisser Weise nachvollziehen, obwohl es sich bei mir noch so krass dargestellt hat. Aber das Wohl meiner kranken Schwester stand natürlich bei meiner Mutter auch im Vordergrund. Sie meinte, das ich versorgt bin und hat ein schräges Testament verfasst. Verstehe, dass sie sich um die Zukunft ihrer kranken Tochter sorgte. 
Ich hatte mich von der Familie distanziert und bin nur zu Festivitäten zu Lebzeiten der Eltern zu Ihnen gekommen. Es ist schwierig in der Familie die Position als das nicht eingeschränkte Kind zu vertreten. Ich konnte es nicht, weil ich nicht offen über mich und mein Leben gesprochen habe. Man hätte mich nicht verstanden. 
Ich erlebe jetzt manchmal ein emotionales Cocktail, muss dann immer wieder die distanzierte Position einnehmen und über die Vernunftebene mich wieder einnorden.
Ich denke gegenüber den Eltern wird die Konfrontation nichts nützen. Klar die reale Sichtweise hinsichtlich der Erkrankung der Schwester vermitteln, die emotionale Ebene vermeiden, das sind grundsätzliche Umgangsformen. 
Wichtig ist es auf sich selber zu schauen, was man braucht für das eigene Wohlergehen. Es braucht Egoismus und sich selber gegenüber den Eltern positionieren. Wieviel Verantwortung habe und will ich haben gegenüber meinen Geschwistern. 
Ich hatte über Jahrzehnte keine Verantwortung. Sehe mich jetzt damit konfrontiert, vor allem weil ich die gesetzliche Betreuung übernommen habe. In den letzten Jahren habe ich die Wünsche meiner Mutter vorgelebt. Seit kurzem sage ich: auch ich habe Anspruch auf mein Erbe, will jetzt das Haus meiner Eltern verkaufen. Aber das Gefühl "was tue ich meiner Schwester an" kommt hoch. die Vernunftebene hilft mir den Weg zu gehen und in die Zukunft zu schauen. 
Vielleicht habe ich jetzt zu viel von mir geschrieben. Aber jede familiäre Situation ist so vielfältig und lässt sich nicht kurz beschreiben. 
Würde mich freuen, wenn ich etwa beitragen konnte.
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