Persönlichkeitsentwicklung
#1
Hallo,

ich möchte mich kurz vorstellen und meine Situation erläutern: ich männlich 40 Jahre alt wohne in Hannover und ich habe einen Zwillingsbruder der seit ca. 20 Jahren an einer Schizophrenie erkrankt ist. Meine Eltern hatten sich die letzten Jahre um Ihn gekümmert und ihn durch die Phasen begleitet. Bis vor 3 Jahren (mein Vater ist 2010 verstorben und meine Mutter ist im Urlaub gewesen) ich in den Genuss kam ihm zu helfen. Ich war anfangs hoch motiviert und es hat mir sogar Spaß gemacht ihm zu helfen (Arztbesuche, Medikamenten Abgabe, Konto sperren und neu beantragen, Schlüssel organisieren hat er verloren usw.) Das diese Krankheit leider einen Drehtüreffekt hat, wenn man nicht einsichtig ist und Medikamente verweigert werden, weil eine stark ausgeprägte Narzisstische Persönlichkeit das nicht braucht und man mal wieder Drogen konsumiert (seine erste Psychose wurde durch Cannabis ausgelöst) ist glaube ich in diesem Forum hinreichend bekannt. Somit wurde dann aus Spaß Ernst und in den folgenden Psychosen bauten sich dann immer mehr der hier altbekannten Emotionen in allen Variationen auf. Um die Ereignisse mal in Schlagwörter zu fassen wie Polizeieinsätze, Rettungswagentransporte, Handschellen, Zwangseinweisungen, Fixierungen am Bett, aggressives Auftreten, Verkennung, Verwahrlosung, man wird betrogen und belogen und bekommt regelmäßig Nachts besuche. Aber auch Eindrücke aus dem engen Familienkreis wie eine weinende Mutter die auch mal in Ohnmacht fällt auf der Polizeistation weil es zu viel wird hinterlassen teilweise eine schier unerträgliche Ansammlung an Emotionen die es zu bewältigen gilt. Es gab Tage da bin ich froh gewesen wenn ich morgens nach dem Aufstehen nicht schon befangen war bevor ich meine erste Notdurft verrichtet habe. So kann und konnte es für mich nicht weiter gehen und habe versucht aktiv zu werden. Da ich mich seit einiger Zeit mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftige und das Thema spannend finde würde ich Euch ganz gerne meine Ansichten und Praktiken vorstellen, die ich für mich gefunden habe und auch versuche umzusetzen.

Der für mich wichtigste Punkt ist die Einsicht das ich für alle meine Entscheidungen, Handlungen und Emotionen selbst verantwortlich bin und damit auch für mich der schwierigste. Einen wunderbaren Beitrag dazu gibt es von Dieter Lange auf youtube: https://www.youtube.com/watch?v=Dv8brpjlPnQ

Ich betrachte die Krankheit meinem Bruder als eine Art höhere Gewalt, ich habe keinen Einfluss darauf ich muss es so akzeptieren und somit auch die Entscheidungen, die er fällt z.B. ich nehme keine Medikamente. Ich kann meinen Bruder nicht ändern ich kann nur mich selbst ändern.
Ich habe für mich abgemacht das ich ihm nur noch helfen werde wenn er sich helfen lassen will. Wir haben momentan keinen direkten Kontakt seit ca 8 Monaten was mir ehrlich gesagt richtig gut tut, um mal wieder Luft zu bekommen. Es gibt jetzt einen Betreuer, der für sein Medizinisches Wohlergehen sorgt, ein Stück weit die Last abzugeben ist in meinem Fall befreiend. Es mag egoistisch klingen sich von dem Thema ein Stück weit zu distanzieren nur, was bringt es mir und auch meiner Umwelt wenn ich daran zu Grunde gehe. Die Erkenntnis das Hilfe zur Selbsthilfe ein wesentlicher Teil ist das Problem zu bewältigen, um ein Leben in Balance zu führen macht mich zuversichtlich.

Um den immer wiederkehrenden Emotionen Herr zu werden habe ich angefangen zu meditieren. Nun es ist übertrieben, wenn ich sage, dass ich meine Gefühle kontrollieren kann und ich denke das ist auch nicht möglich, aber die Tatsache, das ich immer öfter erkenne in welchem Zustand oder Gefühlslage ich mich bewusst befinde hilft mir bei meinen Entscheidungen, ob ich mich davon einnehmen lasse oder nicht.

Nach dem Motto du bisst was du isst, du bist was du denkst und du bist was du tust, versuche ich mich mit ein wenig Krafttraining häufigen Spaziergängen einer guten Ernährung der Meditation und der Selbstbetrachtungen mich im Gleichgewicht zu halten. Es gibt noch soviel mehr über das man schreiben könnte doch nun soll erst mal Schluss sein. Es sind im Wesentlichen die oben aufgeführten Punkte, die gefühlt für mich eine enorme Bereicherung sind und ich verstehe sie als Lebensaufgabe, leider gibt es keine Tablette gegen all unsere Probleme und wenn ja ich würde euch eine schicken. Und somit beende ich meine kleine Einführung mit einen meiner aktuellen Lieblingszitate von Jim Rhon: Lerne, härte an dir zu arbeiten als an deinem Job. (Das Wort Job kann natürlich beliebig ersetzt werden)

Meine Frage an Euch: Was macht Ihr aktiv um dem Vorzubeugen, damit Ihr wieder Frau/Herr eurer Lage seit. Es würde mich wirklich interessieren welche Ansichten Praktiken euch helfen mit dem Thema umzugehen.


Gruß an Euch alle eurer Lukka
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#2
Hallo aus NRW,

also ich kann mit dem Thema nur bedingt umgehen. Es gibt Tage, da könnte ich vor Wut alles Geschirr aus den Schränken holen und kaputt schlagen. Andere Tage geht es besser und ich denke, es gibt viele Menschen, denen geht es noch schlechter. Manchmal finde ich Kraft, wenn ich ein bißchen Bete, anderer Tage habe ich mit der Kirche vollkommen abgeschlossen. Was mir immer hilft, ist ein gutes Buch. Na ja, und, wie ich schon mal geschrieben habe, ein Glas Wein. Ich weiß ja, das ist nicht gut, da wir alle ja eh schon immer ständig unter Strom stehen, aber es ist einfach so, der Alkohol lässt einen halt mal alle Sorgen vergessen. Das ist nicht gut, wir. die Kümmerer sind ja eh schon mit krank geworden, ich sehe das auf jeden Fall so. Man gibt sich ja anders vor den Kranken. Man muss immer überlegen, sage ich zuviel, zuwenig oder das Falsche. Das ist sehr anstrengend. Oft wünsche ich mir "nur eine" körperliche Krankheit für meine Schwester. Ich träume oft davon, das sie zusammenbricht, das man einen Krankenwagen ruft, dann kommt sie ins Krankenhaus und dort stösst man auf nette Ärzte die sich kümmern, die Psyche meiner Schwester wieder in den Griff kriegen, und das mir einfach die Last von den Schultern genommen wird. Aber das sind halt nur Träume.

Alles Gute und viel Kraft an uns Kümmerer.
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#3
Hallo,

auch mir fällt es nicht immer leicht, mich selber im Gleichgewicht zu halten. Es sind eine Unmenge von Gefühlen, die wir auszuhalten haben und mit denen wir umgehen müssen.
Letzte Woche habe ich mich wieder einmal sehr intensiv um meinen kranken Bruder gekümmert mit der Folge dass ich heute körperlich und seelisch total erschöpft war. Es half nur ruhen, hinlegen. Und auch Tränen helfen mir, mich von meinen seelischen Schmerzen zu befreien.
Ansonsten hilft mir auch ein gutes Buch und Musik. Zum einen Musik hören aber auch selber Musik machen.
Beten hift mir auch, abgeben der Situation an Gott.
Da ich sehr gerne draußen bin gehe ich auch oft in den Wald oder meinen Garten, das beruhigt mich.
Ich bin auch noch auf der Suche nach anderen Möglichkeiten. Ich merke oft, dass das Umfeld nicht richtig nachvollziehen kann was wir alles durchmachen. Es ist schon auch selber unsere Aufgabe Möglichkeiten zu finden und zu suchen, wie wir für uns sorgen können. Aber manchmal fällt das so schwer. Da ist alles so chaotisch.
Ich empfinde es oft wie zwei Welten, die Welt mit meinem Bruder und mein ganz normaler Alltag.
Im Moment träume ich auch den Traum wie du Maulwürfel....

Viel Kraft wünsche ich uns allen,
Bigi
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#4
Hallo zusammen,

mir geht es auch so. Wenn ich viel mit meiner Schwester zusammen bin, bin ich körperlich wie seelisch vollkommen erschöpft. So geht es mir auch an Feiertagen. Für mich ist das ein Grauen. Zu meiner kranken Schwester kommt dann noch mein Vater zu uns. Wir holen ihn dann aus dem Heim. Er hat an Feiertagen schon traditionell schlechte Laune . Ihr könnt euch sicher denken, wie anstrengend das ist. Dazu kommt dann noch das Essen machen, alle bei Laune halten, den eigenen Mann nicht zu sehr vernachlässigen, er hat auch genug Probleme mit seiner Familie, usw. , es ist ein Drahtseilakt. Liebe Annette, ich habe das auch. Weinen hilft mir dann auch. Es gibt Zeiten, da kann ich nicht mehr Weinen, aber irgendwann kommt dann ein Tag, an dem die Tränen nur so fließen, und ja, es tut mir auch gut.

Was wir als Angehörige durchmachen, kann kein Umfeld nachvollziehen. Das können nur Menschen, die sich wie wir "kümmern". Aber dann soll sich dieses Umfeld auch raushalten, wenn sie einem schon nicht helfen, das macht mich immer sehr wütend. Und ja, es sind zwei Welten, manchmal schaffe ich es, diese Welten zu trennen, nach dem Motto, heute ist ein guter Tag, ich gehe arbeiten, und muss mich heute nicht kümmern. Morgen wird man sehen, was wieder kommt.

Ich wünsche uns auch viel Kraft.
LG
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