12.03.2018, 13:20
Lieber Reinhard,
es hat mir gut getan, zu schreiben und ich bin dankbar, dass ich das hier konnte. An Dich / euch vielen Dank, dass ihr die Möglicheit dazu geschaffen habt offen zu sein und danke, Reinhard, für Deine Antwort.
Die Unterscheidung in "psychisch belastete" und "Mitgeschwister" gefällt mir persönlich auch besser, wir sind ja Teile eines Ganzen - auch, wenn es punktuell sehr entlastend sein kann, sich deutlicher abzugrenzen.
Ich habe alle Vorstestellungsbereichte gelesen und war von jedem tief bewegt, denn in jeder Schilderung ist auch der Ausdruck tiefer Liebe und Verbundenheit zu den Geschwistern - trotz und auch wegen allem. Deine Schilderung Deiner Geschichte und des Suizids Deines Bruders ... da stocke ich ... ist super-traurig und gleichzeitig auch schön und tröstlich, weil Du für Dich und im Leben mit Deinem Bruder das Erlebte modelliern und in Werden wandeln konntest. So lese ich es auch in den anderen Berichten und es hilft mir persönlich sehr, dass es möglich ist, sich selbst und der Liebe zum Geschwister konsequent treu zu bleiben - und sich trotzdem auch abgrenzen zu können, praktisch zu handeln.
Ich habe die Rolle meiner Schwester zu meiner Mutter sehr lange nicht anders gesehen als Du und mich jahrelang aus der Beziehung zwischen Mutter und Schwester, Mutter und den Kindern meiner Schwester rausgehalten. Zurückzutreten, mich unsicht-und unhörbar zu machen, Platz zu geben kann ich - fast - gut.
Den Kontakt zu meiner Mutter habe ich aber - quasi heimlich - immer gehalten, obwohl ich die unablässige Forderung wieder "gut" sein sehr belastend fand. Warum ich mich um unsere Mutter kümmere ist einfach zu beantworten. Ich habe sie vermisst. Sie hat mich vermisst und sie war in einem gesundheitlich jämmerlichen Zustand. Dumpf, verwirrt und "abgeschaltet" durch eine Übermedikation blutdrucksenkender Medikamente. Nicht meine Schwester hat mich gerufen - auch nicht als Mutter gestürzt ist und sich die Schulter angebrochen hatte - sondern eine lebenslange Freundin der Familie, die meiner Mutter wie eine Tochter - und mir wie eine ältere Schwester ist.
Wir haben nur eine begrenzte Lebenszeit. Das ist unserer Mutter - trotz der dementiellen Veränderungen - sehr bewußt. Wie Gedächtnis und Erinnerung funktionieren ist ein ganz eigenes Thema. Heute ist meine Mutter für eine 84-jährige körperlich fit und geistig "da" - jedenfalls im jeweils einzelnen Augenblick. Vorher und später entschlüpfen ihr. Trotzdem - oder viielleicht auch deswegen - können wir liebevoll, oft unbeschwert und zugewandt zueinander sein. Das möchte ich nicht missen. Ich bin dankbar dafür, eine Hilfe für Mutter gefunden zu haben, die bei ihr ist, es mir ermöglicht zu arbeiten, gelegentlich einen freien Abend zu haben, ruhig zu schlafen.
Meine Schwester bittet mich in der Krise nicht offen um Hilfe - sie schreibt mir - sie ist müde, sie will nichts mehr, sie ist in eine Klinik gegangen. Sie weiß nicht, wie lange es dauert. Ich habe ihr geantwortet, dass ich das für eine gute Entscheidung halte und ihr gute Besserung gewünscht. Und das meine ich auch so.
Es gehörte zu meiner lebenslangen Rolle, mich ihr zuzuwenden, meine Hilfe anzubieten, aus mir heraus tätig zu werden, mich engagiert verantwortlich zu machen ... ein gut dressierter Affe. Ich spüre den Sog, aber das finde ich nicht in mir.
Was mir das Herz zusammenzieht ist, verantwortungsvoll mit der Sorge meiner Mutter um ihr Kleinstes, ihr Sorgenkind umzugehen - denn natürlich vermisst unsere Mutter ihre Tochter, fragt sich - und mich - ob sie gestritten haben, ob sie etwas falsch gemacht hat, warum sich meine Schwester nicht meldet, warum sie nicht kommt, ob sie ihr helfen kann. Unsere Mutter weiß, dass ihre Tochter sich helfen läßt und sagt, sie hat zu lange gewartet, sich Hilfe zu suchen. Gleichzeitig leidet sie darunter wahrzunehmen, dass sie selbst eingeschränkt ist, nicht in ihrer altgewohnten Kraft, dass sie selbst Hilfe braucht und annehmen muss.
Nur an diesem Punkt frage ich mich, ob ich mich selbst dazu verpflichten kann mehr über die Situation meiner Schwester zu erfahren, zu erfragen wo sie ist, herauszufinden, ob sie besucht werden möchte, dafür zu sorgen, dass unsere Mutter ihr Kind gegebenenfalls besuchen kann, sie zu ihr zu fahren. Dann denke ich, nein, das ist nicht meine Aufgabe. Das kann ich nicht annehmen. Ich kann mich weit zurücknehmen, aber zu Selbstaufgabe war und bin ich nicht bereit.
Meine Schwester kann ihre Beziehung zu ihrer Mutter selbst gestalten, sie anrufen, informieren. Oder?
Hier ist die Schnittstelle zur Anorexie, zum "ich mache mich weniger", "ich lösche mich aus", "ich mache es nicht richtig", "ohne mich sind alle besser dran". Meine Schwester körperlich - ich geistig. So ist das Muster.
Ich kann das sehen - und bin ganz bewusst nicht dazu bereit, diesen Tanz zu tanzen, dem Sog nachzugeben - deshalb bin ich hier. Die Verantwortung für Wohl und Wehe war schon zu schwer, als ich Kind war. Das mit erwachsener Kraft so zu sehen und bei mir zu bleiben, kostet Kraft - und Widerstandskraft brauche ich auch.
Hier schreiben zu können hilft mir, Deine aufmerksame Antwort hat mir sehr geholfen und ich werde sicher "am Ball" bleiben, vielleicht auch zu einem Treffen kommen können. Solange es um Mutter keine signifikante Entlastung gibt, schaue ich nicht so weit voraus.
Liebe Grüße,
Steffi
es hat mir gut getan, zu schreiben und ich bin dankbar, dass ich das hier konnte. An Dich / euch vielen Dank, dass ihr die Möglicheit dazu geschaffen habt offen zu sein und danke, Reinhard, für Deine Antwort.
Die Unterscheidung in "psychisch belastete" und "Mitgeschwister" gefällt mir persönlich auch besser, wir sind ja Teile eines Ganzen - auch, wenn es punktuell sehr entlastend sein kann, sich deutlicher abzugrenzen.
Ich habe alle Vorstestellungsbereichte gelesen und war von jedem tief bewegt, denn in jeder Schilderung ist auch der Ausdruck tiefer Liebe und Verbundenheit zu den Geschwistern - trotz und auch wegen allem. Deine Schilderung Deiner Geschichte und des Suizids Deines Bruders ... da stocke ich ... ist super-traurig und gleichzeitig auch schön und tröstlich, weil Du für Dich und im Leben mit Deinem Bruder das Erlebte modelliern und in Werden wandeln konntest. So lese ich es auch in den anderen Berichten und es hilft mir persönlich sehr, dass es möglich ist, sich selbst und der Liebe zum Geschwister konsequent treu zu bleiben - und sich trotzdem auch abgrenzen zu können, praktisch zu handeln.
Ich habe die Rolle meiner Schwester zu meiner Mutter sehr lange nicht anders gesehen als Du und mich jahrelang aus der Beziehung zwischen Mutter und Schwester, Mutter und den Kindern meiner Schwester rausgehalten. Zurückzutreten, mich unsicht-und unhörbar zu machen, Platz zu geben kann ich - fast - gut.
Den Kontakt zu meiner Mutter habe ich aber - quasi heimlich - immer gehalten, obwohl ich die unablässige Forderung wieder "gut" sein sehr belastend fand. Warum ich mich um unsere Mutter kümmere ist einfach zu beantworten. Ich habe sie vermisst. Sie hat mich vermisst und sie war in einem gesundheitlich jämmerlichen Zustand. Dumpf, verwirrt und "abgeschaltet" durch eine Übermedikation blutdrucksenkender Medikamente. Nicht meine Schwester hat mich gerufen - auch nicht als Mutter gestürzt ist und sich die Schulter angebrochen hatte - sondern eine lebenslange Freundin der Familie, die meiner Mutter wie eine Tochter - und mir wie eine ältere Schwester ist.
Wir haben nur eine begrenzte Lebenszeit. Das ist unserer Mutter - trotz der dementiellen Veränderungen - sehr bewußt. Wie Gedächtnis und Erinnerung funktionieren ist ein ganz eigenes Thema. Heute ist meine Mutter für eine 84-jährige körperlich fit und geistig "da" - jedenfalls im jeweils einzelnen Augenblick. Vorher und später entschlüpfen ihr. Trotzdem - oder viielleicht auch deswegen - können wir liebevoll, oft unbeschwert und zugewandt zueinander sein. Das möchte ich nicht missen. Ich bin dankbar dafür, eine Hilfe für Mutter gefunden zu haben, die bei ihr ist, es mir ermöglicht zu arbeiten, gelegentlich einen freien Abend zu haben, ruhig zu schlafen.
Meine Schwester bittet mich in der Krise nicht offen um Hilfe - sie schreibt mir - sie ist müde, sie will nichts mehr, sie ist in eine Klinik gegangen. Sie weiß nicht, wie lange es dauert. Ich habe ihr geantwortet, dass ich das für eine gute Entscheidung halte und ihr gute Besserung gewünscht. Und das meine ich auch so.
Es gehörte zu meiner lebenslangen Rolle, mich ihr zuzuwenden, meine Hilfe anzubieten, aus mir heraus tätig zu werden, mich engagiert verantwortlich zu machen ... ein gut dressierter Affe. Ich spüre den Sog, aber das finde ich nicht in mir.
Was mir das Herz zusammenzieht ist, verantwortungsvoll mit der Sorge meiner Mutter um ihr Kleinstes, ihr Sorgenkind umzugehen - denn natürlich vermisst unsere Mutter ihre Tochter, fragt sich - und mich - ob sie gestritten haben, ob sie etwas falsch gemacht hat, warum sich meine Schwester nicht meldet, warum sie nicht kommt, ob sie ihr helfen kann. Unsere Mutter weiß, dass ihre Tochter sich helfen läßt und sagt, sie hat zu lange gewartet, sich Hilfe zu suchen. Gleichzeitig leidet sie darunter wahrzunehmen, dass sie selbst eingeschränkt ist, nicht in ihrer altgewohnten Kraft, dass sie selbst Hilfe braucht und annehmen muss.
Nur an diesem Punkt frage ich mich, ob ich mich selbst dazu verpflichten kann mehr über die Situation meiner Schwester zu erfahren, zu erfragen wo sie ist, herauszufinden, ob sie besucht werden möchte, dafür zu sorgen, dass unsere Mutter ihr Kind gegebenenfalls besuchen kann, sie zu ihr zu fahren. Dann denke ich, nein, das ist nicht meine Aufgabe. Das kann ich nicht annehmen. Ich kann mich weit zurücknehmen, aber zu Selbstaufgabe war und bin ich nicht bereit.
Meine Schwester kann ihre Beziehung zu ihrer Mutter selbst gestalten, sie anrufen, informieren. Oder?
Hier ist die Schnittstelle zur Anorexie, zum "ich mache mich weniger", "ich lösche mich aus", "ich mache es nicht richtig", "ohne mich sind alle besser dran". Meine Schwester körperlich - ich geistig. So ist das Muster.
Ich kann das sehen - und bin ganz bewusst nicht dazu bereit, diesen Tanz zu tanzen, dem Sog nachzugeben - deshalb bin ich hier. Die Verantwortung für Wohl und Wehe war schon zu schwer, als ich Kind war. Das mit erwachsener Kraft so zu sehen und bei mir zu bleiben, kostet Kraft - und Widerstandskraft brauche ich auch.
Hier schreiben zu können hilft mir, Deine aufmerksame Antwort hat mir sehr geholfen und ich werde sicher "am Ball" bleiben, vielleicht auch zu einem Treffen kommen können. Solange es um Mutter keine signifikante Entlastung gibt, schaue ich nicht so weit voraus.
Liebe Grüße,
Steffi