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Liebe Geschwister,
ich bin Schwester eines erkrankten Bruder, Psychologin und Journalistin. Bei meinen Recherchen zu Geschwistern ist mir aufgefallen, dass viele Geschwister in sozialen Berufen arbeiten, Sozialwissenschaften, Psychologie oder Medizin studieren, manche schreiben gar ihre Abschlussarbeiten zu dem Thema "Geschwister". Nahezu alle Studien, die es zu dem Thema gibt, sind zumindest anteilig von Geschwistern durchgeführt und geschrieben worden. Ich selbst habe Psychologie studiert, mein Bruder war dafür durchaus ausschlaggebend. Ein Schulfreund von mir, der ebenfalls einen erkrankten Bruder hat, hat ebenfalls Psychologie studiert. Auch er sagt sein Bruder war ein wichtiger Einfluss für diese Entscheidung. Eine Geschwister-Studie von Thomas Bock sagt: 50 Prozent der Teilnehmer arbeiteten in sozialen Berufen. Ich fand das überraschend und sehr spannend. Ich möchte gern den Gründen nachgehen. Ich wüsste gern, warum ihr in diese Richtung gegangen seid, wenn ihr sie eingeschlagen habt? Was war ausschlaggebend? Ich habe das Studium begonnen, um besser zu verstehen, was mit meinem Bruder los ist, wie es ihm geht. Und weil er mich für dieses Themenfeld sensibilisiert hat. Eine Zeitlang habe ich sogar gedacht, ihm dann besser helfen zu können.
Wie ist das bei euch? Was war euer Antrieb Experte/in auf diesem Gebiet zu werden?
Eure Erläuterungen würde ich ggf. gern in ein Buch einfließen lassen, an dem ich derzeit werkel. Bitte gebt mir einfach ein Zeichen, wenn ihr das für euren Beitrag nicht möchtet. Mich interessiert eure Perspektive auch unabhängig von meinem Buchprojekt.
Viele Grüße
Jana
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Liebe Jana,
bei meinen eigenen Recherchen habe ich bislang keine valide Quelle dafür gefunden, dass Geschwister besonders häufig soziale Berufe ergreifen, auch wenn diese "These" immer wieder auftaucht und auch Deinen Erfahrungen entspricht (und denen von Thomas Bock). In der Arbeit von Holger Simon ist das ja auch eine der Fragen in dem umfangreichen Fragebogen - ob der schon angewendet wurde / die Forschung damit schon begonnen hat, weiß ich nicht genau. Aber ich erwarte die Ergebnisse mit Spannung!
Meine Vermutung dazu ist bislang, dass wir - die Forschenden - immer nur eine bestimmte Gruppe von Geschwistern erforschen, nämlich die in Sebsthilfegruppen engagierten (weil wir andere Geschwister bislang weiterhin nicht gut erreichen können). Ich finde es sehr wahrscheinlich, dass sich dort (!!), oder auch in dem Projekt von Thomas Bock (!) vor allem solche Geschwister engagieren, die Erfahrungen im psychosozialen Bereich haben. Es liegt also eher an der Auswahl der Stichprobe, als an der tatsächlichen Berufswahl der Geschwister. Ich glaube bei Thomas Bock steht auch in einem Text die Zahl von 1 Millionen hochgerechneten potentiell betroffenen Geschwistern (korrigiert mich, wenn ich mich täusche!). Und es sind sicher nur wenige hundert davon je wissenschaftlich befragt worden. Okay, lass es wenige Tausend sein... Aber Du merkst, worauf ich hinaus will.
Ich habe lange mit psychisch erkrankten Menschen gearbeitet - und wüsste bis auf eine Ausnahme nicht, dass deren Geschwister einen psychosozialen Beruf ergriffen hätten. Gleichzeitig: Ja, genau, auch ich habe ein psychisch erkranktes Geschwister UND einen sozialen Beruf. Meine persönliche Bilanz ist aber eine andere: Ich wollte mich selbst und meine Schwierigkeiten besser verstehen können. Also eher mir selbst besser helfen können, als meinem erkrankten Geschwister.
Ich finde die Frage aber auch spannend, sicher können auch noch einige mehr hier antworten [Bild: https://forum.geschwisternetzwerk.de/ima.../smile.png].
Herzliche Grüße!
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Liebe Anna,
vielen Dank für die wissenschaftliche Perspektiven-Verrückung. So habe ich das in der Tat noch nicht gesehen und war mir nicht bewusst, dass die Befragten sehr wahrscheinlich alle aus einem bestimmten Personenkreis stammen, nämlich denen aus Selbsthilfegruppen. Schon möglich, dass Geschwister jenseits der Gruppen und Netzwerke, gänzlich andere Berufswege eingeschlagen haben.
Vielleicht wollen sich hier ja Personen aus beiden Gruppen zu Wort melden. Jene, die es in die soziale Richtung zog, und jene, bei denen das nicht so war. Ich kann mir vorstellen, dass manch einer auch bewusst einen nicht-sozialen Beruf gewählt hat, um im Berufsleben nicht wie im Privatleben mit menschlichen Krisen und Problemen umgehen zu müssen.
Anna, hat dir denn die Ausbildung persönlich geholfen, also seinen erhofften Zweck erfüllt?
Viele Grüße!
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Liebe Jana, liebe Anna,
als für mich die Probleme meiner 6 Jahre jüngeren Schwester spürbar wurden, hatte ich meine Ausbildung als Betriebswirt bereits abgeschlossen. Gravierende Probleme in meinem Elternhaus haben mich zwar lange Zeit mit einem Psychologiestudium liebäugeln lassen, auch habe ich alles, was ich als Halbwüchsiger an Informationen über Parapsychologie in die Hände kriegen konnte, in den 70er Jahren geradezu verschlungen. Letztlich war ich zu unsicher, um meinem dominanten Vater zu widerstehen.
Wenn ihr in der im Betreff genannten Richtung forscht, müsst ihr meiner Meinung nach das Gesamtbild familiärer Strukturen, Bildungsgrad und andere Einflüsse von außen im Auge behalten. Dies bedeutet einen hohen Forschungsaufwand, der m.E. die These bestätigen würde, dass viele Betroffene sich intensiv mit dem Gedanken auseinandergesetzt haben, einen sozialen Beruf zu ergreifen. Vielerlei Einflüsse mögen das (wie bei mir) verhindert haben.
Viel Glück und alles Gute im Neuen Jahr!
GG
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Guten Tag,
endlich bin ich mal wieder im Forum - und da finde ich auch Eure Diskussion.
Noch gibt es keine wissenschaftlich abgesicherten Daten - aber der Augenschein ist offensichtlich: es gibt sehr, sehr viele Geschwister, die soziale Berufe ergriffen haben oder gerade studieren.
Von der anderen Seite als Ihr geschaut sind mir als "viel herumgekommener" Profi in der Psychiatrie sehr, sehr viele Mit-Profis begegnet, die Geschwister sind, oder Kinder von psychisch erkrankten Menschen, Eltern eher selten; das gleiche gilt für Studierende der div. Studiengänge, in denen ich gelehrt hatte.
Aber: Wenn wir auf belastbare Daten aus sind, müssten wir die Kliniken und ggf. die Gemeindepsychiatrischen Verbünde dazu bringen bei der Aufnahme der persönlichen Daten der Patienten bzw. Betreuten nach deren Geschwistern zu fragen sowie deren "Lebenssituation", zu der der Beruf bzw. die Ausbildung zählen würde.
Gibt es jemanden, der das genau wissen will? Der Weg wäre klar: Die Bundesdirektorenkonferenz anschreiben, ebenso die Bundesarbeitsgemeinschaft der Gemeindepsychiatrischen Verbünde, und die Ethikkommission, die die entsprechenden Fragen absegnen müsste.
Mir persönlich "reicht" die große Anzahl an Geschwistern bzw. anderen Angehörigen, die soziale Berufe und oft solche in der Psychiatrie gewählt haben; es gibt für mich sehr viele andere Fragen, die ich gern in einer statistisch orientierten Studie mit einem gewissen Maß an Repräsentativität beantwortet hätte, und sei es auch nur der Tendenz nach.
Übrigens: Holger Simon hat seine Dissertation zurückgestellt, als er Geschäftsführer eines Trägers wurde - beiden zugleich geht nicht.
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Liebe Jana,
ich wollte verstehen, warum deine Familienmitglieder so waren, wie sie waren/sind, ich wollte wissen, wie es dazu kommen konnte und wie kann ich lernen, was normaler ist. Lange Jahre war auch der Aspekt Helfersyndrom vorhanden. Und was gibt es für Heilungsmöglichkeiten. Erst im letzten Jahr ist mir bewusst geworden, dass ich Erzieherin aus diesen Gründen wurde, dass ich Heilpraktikerin aus diesen Gründen wurde. In beiden Berufen bin ich gut... aber ich weiß, nun um die Lebensmitte nicht, was ich für mich selbst will.
Und niemand kann das aus meinem Umfeld nachvollziehen.
Liebe Grüße
Oh - hab gerade gesehen, dass das Buch schon auf dem Markt ist -sorry.
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