Austausch gesucht
#1
Hallo!

Ich habe einen Bruder, der seit mehr als 20 Jahren krank ist. Er ist schizophren und lässt sich nicht behandeln [Bild: https://forum.geschwisternetzwerk.de/ima...es/sad.png]. Ich würde mich gerne hier austauschen! Gibt es noch Jemanden mit ähnlichen Erfahrungen?

Liebe Grüße,
Jessi
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#2
Liebe Jessi,
schön, dass Du Dich kurz vorgestellt hast. Vielleicht wunderst Du Dich, warum Du keine Antworten erhältst?
Ich habe da eine Hypothese: die Aussage, "Austausch gesucht" ist vielleicht zu allgemein, um zu reagieren.
Wenn Du etwas von Deinen Erfahrungen, positiven wie negativen, berichten würdest könnten ich und Andere darauf reagieren. Wenn Du uns auch mitteilst, was Dir besonders wichtig ist und welche Probleme und Fragen die umtreiben, würden sicher außer mir auch andere erfahrene Geschwister Dir was ins Forum schreiben.
Ich selbst bin einer von der Moderatorengruppe und werde mich gleich in der Vorstellungsrunde "präsentieren".
Deinen nächsten Eintrag erwarte ich mit großem Interesse!
Liebe Grüße
Reinhard
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#3
Hallo und guten Tag,

ich freue mich sehr, dass es jetzt dieses Forum gibt, denn ich fühle mich ziemlich einsam mit meinem Schicksal als Schwester einer seit 40-Jahren-psychisch-Kranken-Schwester (schizophrene Psychosen in unregelmäßigen Abständen, gerade noch durch eine Panikerkrankung getoppt). Besonders jetzt, seitdem unsere Eltern als Verantwortliche durch ihr Alter nicht mehr agieren können. Meine große Frage ist, wie verhalte ich mich? Wieviel Nähe, Unterstützung, "Ohr", biete ich? Hintergrund ist, dass ich aufgrund früher schrecklicher Psychiatrieerfahrungen als "Zuschauerin" selbst traumatisiert bin. Also, wie gesagt, ich freue mich über diese Möglichkeit, mit anderen "Verwandten" in Austausch zu gehen. Schöne Grüße aus Stuttgart! Marianne
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#4
Liebe Marianne,
Deine Kurzschilderung zeigt bereits: Du teilst ein Schicksal, vom dem viele Geschwister betroffen sind und für das sie bereits eine für sie selbst (!) halbwegs oder gut gangbare Lösung gefunden haben, nämlich der offen ausgesprochene bzw. still erwartete oder selbst erteilte Auftrag, nun die Rolle und Funktion der Eltern zu übernehmen.
Aber: das geht nicht, Du bist die Schwester, Du hast schon lange ein eigenes Leben - und ein Recht darauf!
Gehe ich Recht in der Annahme: in der Vergangenheit haben sich Deine Eltern und Du nicht auf diese Situation gemeinsam vorbereitet? Auch das ist keinesfalls selten!
Damit stehst Du nun - wie Du auch schreibst - vor der Frage, wie Du mit den Erwartungen (von wem auch immer, siehe oben) umgehen möchtest bzw. umgehen kannst!
- Kannst Du Abstand von den bedrängend empfundenen Anforderungen gewinnen - was sich dann so anfühlt, als würdest Du Abstand von deinem Bruder nehmen?
- Bist Du Dir sicher, dass er das unbedingt von Dir benötigt? (Das, was über eine übliche Geschwisterbeziehung hinaus geht)
- Was müsste geschehen, damit es Dir möglich wird den Abstand zu finden, den Du wünschst -  und Du Dein Leben weitestgehend so weiterführen kannst wie bisher - was natürlich einschließt, für den Bruder als Schwester da zu sein, nicht als Eltern-Ersatz?
Das führt zwingend zur Frage: An wen kannst Du das, was aus Deiner Sicht Dein Bruder braucht, er aufgrund der jetzigen Situation von Dir zu erwarten scheint, Dich aber bedrängt - an wen kannst Du das abgeben, bei Euch, vor Ort in Stuttgart? Mit welchen Hilfeinstitutionen haben bzw. hatten Deine Eltern, mit wem hast Du bereits Kontakt?
Mit einem Problem mussten sicher schon Deine Eltern, und nun Du "fertig werden": professionelle Helfer werden auch niemals die Rolle und Funktionen übernehmen können, die Deine Eltern für Deinen Bruder spielten; genauso werden sie niemals das breite Spektrum von Gefühlen Deinem Bruder entgegen bringen wie das bei Dir der Fall ist, sie werden auch enge persönliche Nähe vermeiden, dafür eine verlässliche professionelle Nähe mit ihm finden.
Ich sage es mal holzschnittartig: "Sie werden aber nie so gut sein wie Deine Eltern, und auch nicht so gut, wie Du für Deinen Bruder währest, wenn Du künftig Dein Leben auf ihn Zuschneidern würdest." - was auch immer unter "gut" verstanden werden kann.
Liebe Marianne,
ich habe versucht, Deine kurze Schilderung mit Erinnerungen an die Berichte anderer Geschwister zu ergänzen; dabei ist ein Bild entstanden, das möglicherweise nicht Deinem Erleben entspricht - darum bitte ich Dich, dies ggf. zu schreiben.
Was ich sagen wollte in wenigen Worten:
- Deine Eltern ersetzen kannst Du nicht
- Deren Rolle und Funktion übernehmen und Dein Leben darauf zuschneiden - nicht sinnvoll, und Du willst bzw. kannst es auch nicht (Deine möglichen Re-traumatisierungen)
- Deinen Bruder einfach hängen lassen willst Du nicht
- Also müssen Dritte ins Boot. Dafür gibt es das professionelle Helfersystem.
- Was das Alles für Dich persönlich bedeutet und wie Du mit den Schwierigkeiten jetzt und später klar kommst: Dafür ist unser Netzwerk gegründet worden.
Ich bin sehr gespannt auf Deine Antwort - und ich hoffe, andere Geschwister nehmen ebenfalls Stellung.
Liebe Grüße und alles Gute
Reinhard

Liebe Marianne,
Du hast sicher gemerkt: ich habe aus Deiner Schwester einen Bruder gemacht, das ändert aber nichts an dem, was ich sonst sagte.
Während ich schrieb war ich mir nicht mehr sicher: Hat Marianne einen Bruder oder eine Schwester? - und ich hatte Angst, wenn ich in Deinen Text geschaltet hätte, dass dann alles was ich schon geschrieben hatte weg ist, das ist der Hintergrund.
Nun habe ich etwas für die Zukunft gelernt: die wichtigsten Infos einer Nachricht, auf die ich antworten will, auf einen Zettel notieren! Du merkst, bei uns muss sich das, was zur Routine werden sollte, erst noch einstellen.
Liebe Grüße
Reinhard
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#5
(10.03.2019, 03:05)Marianne schrieb: Hallo und guten Tag,

ich freue mich sehr, dass es jetzt dieses Forum gibt, denn ich fühle mich ziemlich einsam mit meinem Schicksal als Schwester einer seit 40-Jahren-psychisch-Kranken-Schwester (schizophrene Psychosen in unregelmäßigen Abständen, gerade noch durch eine Panikerkrankung getoppt). Besonders jetzt, seitdem unsere Eltern als Verantwortliche durch ihr Alter nicht mehr agieren können. Meine große Frage ist, wie verhalte ich mich? Wieviel Nähe, Unterstützung, "Ohr", biete ich? Hintergrund ist, dass ich aufgrund früher schrecklicher Psychiatrieerfahrungen als "Zuschauerin" selbst traumatisiert bin. Also, wie gesagt, ich freue mich über diese Möglichkeit, mit anderen "Verwandten" in Austausch zu gehen. Schöne Grüße aus Stuttgart! Marianne

Liebe Marianne,

mein Bruder ist auch schon Jahrzehnte krank und mir geht es genauso, dass ich mich damit ziemlich einsam fühle.
Ich erzähle zwar meinen Freund_innen davon, aber zum Beispiel niemandem auf der Arbeit. Und natürlich sind meine Freunde und Freundinnen da ganz bei mir, aber ich glaube die innere Zerissenheit können sie nicht immer so gut verstehen. Und nach zwanzig Jahren vielleicht auch nicht mehr hören.

Hast Du denn noch mehr Geschwister?
Die Frage "wie verhalte ich mich?" habe ich mittlerweile für mich beantwortet - ich sehe meinen Bruder nicht mehr. Er ist eigentlich immer psychotisch oder wird es, wenn er mich sieht. Dann ist er aggressiv, beleidigt mich, schreit mich an. Mal dauert es eine halbe Stunde, mal nur fünf Minuten, aber es endet immer gleich. Ich will das nicht mehr erleben und kann das nicht mehr aushalten, deshalb vermeide ich den Kontakt. Das hat über zwanzig Jahre gedauert, bis ich das so für mich entscheiden konnte. Ich weiß nicht, wie es bei Dir ist - immerhin scheint sich Deine Schwester "ein Ohr" von Dir zu wünschen, das ist bei meinem Bruder nicht. Nie gewesen.

Was hat denn Deine Schwester selbst für Erfahrungen mit Psychiatrie/ Therapie? Weil Panikerkrankungen kann man ja glaube ich ganz gut therapieren. Oder bezieht sich das bei Dir darauf, dass Du im Zusammenhang mit ihr was Schlimmes erlebt hast - und sie natürlich damit dann auch?

Liebe Grüße,
Jessi
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#6
Hallo und guten Tag,
es ist wunderbar, Antworten, Anregungen, Ideen zu bekommen. Vielen Dank!. Ich merke, dass es mich so betrifft, dass ich erstmal ein paar Tage ins Land gehen lassen muss, um dann wieder darauf zu reagieren. Es ist also kein Desinteresse meinerseits, sondern im Gegenteil eher große Betroffenheit und Freude. Freude, zu spüren, he, da gibt es Leute, denen gehts doch tatsächlich ähnlich, die haben auch so ein Schicksal, als Angehörige, als lebenslang mit diesen Kranken Verbundene.
Ich finde es sehr schwer, den Kontakt zu meiner Schwester abzubrechen. Was ich gerade mache ist, mich nicht mehr aktiv zu melden. Denn da es sowieso nur um sie geht, ist es für mich immer belastend und nie erfreulich.
Was ich zusätzlich eine Schwierigkeit als Folge so einer Schwesternschaft empfinde ist, dass ich auch im Kontakt zu anderen Menschen immer erst diese Menschen sehe, deren Anliegen, Probleme und Wünsche. Ich spüre mich dann oft selbst nicht.
Das ist so ein Folgeschaden dieser Rollenkonditionierung als "gesunde" Schwester einer "kranken" Schwester.
Geht euch das auch so? Wie geht ihr damit um?
Schöne Grüße von Marianne
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#7
Liebe Marianne,
meine Hoffnung ist, dass sich andere Geschwister auf Deine Frage melden!
Bei mir uns meinem Bruder war es ganz anders, sodass ich dieses Gefühl und die von Dir geschilderten Probleme nicht kenne; er war auch immer nur sporadisch ausschließlich bei sich, die meiste Zeit hat er sich für andere Menschen interessiert und eingesetzt, auch bei meinem Sohn; beide hatten eine sehr gute Beziehung zueinander.
Aber wie gesagt: es gab dann auch immer andere Zeiten, die mal länger, mal kürze waren; da wir ihn auch anders erlebt haben konnten wir das immer gut "durchstehen" und abwarten.
Ich bin sehr gespannt, was Dir andere Geschwister schreiben werden!
Liebe Grüße
Reinhard
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