fast vollständiger Kontaktabbruch meiner Schwester
#1
Hallo,
meine Schwester ist an Depressionen und DIS erkrankt. Ich bin 35, männlich, meine Schwester 42.
Als sie noch zuhause war hatte sie Bulimie.
Sie war anfangs mit meiner Mama, später selbst in unterschiedlichen Therapien und Einrichtungen.
Jetzt wohnt sie alleine in einer Art Wohnheim und ist frühverrentet.

Vor 18 Jahren ging sie weg und von der Familie habe seitdem nur noch ich Kontakt zu ihr. Sonst niemand.
Vor 15 Jahren habe ich sie das letzte Mal persönlich getroffen.
Sie sagt, dass ihr persönliche Treffen/Beziehungen nicht gut tun.
Kontakt haben wir mehr oder weniger regelmäßig per E-Mail. Meistens nur Lebenszeichen.
Wobei wir zwischendrin auch Phasen hatten, wo wir sehr viel geschrieben haben. Wenn es uns zu viel wurde haben wir den Kontakt wieder reduziert bzw. auf fast null eingeschränkt. Meist von ihrer Seite, aber auch schon von meiner.

Ich habe, wie die meisten, den ständigen Drang ihr helfen zu wollen, und denke viel darüber nach was ich noch tun könnte.
Das Bindeglied zwischen ihr und der Familie zu sein hat mich zeitweise sehr aufgerieben, weil es bei uns niemanden gibt, den ich nicht liebe. Dazwischen zu stehen und irgendwie für alle und gleichzeitig für niemanden wirklich da sein zu können, das ist auf Dauer eine sehr kraftraubende Situation...

Um selbst gesund zu bleiben versuche ich mir immer wieder zu sagen, dass ich nicht mehr tun kann, weil ich auch schon sehr viel getan habe, auch wenn es mir selbst nicht immer gut getan hat.
Aber was wenn ich mehr tun müsste/könnte was ich im Augenblick nicht sehe/sehen kann?
Hat jemand von euch eine ähnliche Situation erlebt und vielleicht einen anderen Blickwinkel für mich?
Über Antworten würde ich mich freuen.
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#2
.. hatte gehofft dass ich in diesem Forum Unterstützung und Menschen mit vergleichbaren Schicksalen finde. Leider gibt es gar keine Rückmeldung. Das ist schade.
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#3
Hallo werwoiss,

ich habe schon länger nicht mehr geschrieben. Bei mir spitzt sich die Lage aber auch wieder zu, daher bin ich wieder im Forum gelandet. Ich wollte dir nur schreiben, da ich gelesen habe, das du es schade findest, das sich so keiner meldet auf deine Beiträge. Ich denke, es werden einige unsere Beiträge lesen, aber wir haben halt alle keine guten Ratschläge und Lösungen für uns und unsere kranken Geschwister. Es tut einfach mal gut, sich den ganzen Mist von der Seele zu schreiben. Manchmal reicht das schon, das man weiß, man ist nicht alleine.

Ich denke, wir haben alle den selben Blickwinkel. Immer zwischen Hoffen und Bangen. Zwischen tut man zu wenig, oder zu viel. Sollte man einfach sein eigenes Leben leben usw. Ihr habt ja noch Kontakt, das ist doch erst mal gut. Meine Schwester wird bald wieder ihren Job kündigen, da sie die Arbeit nicht mehr schafft, sie wird 56. Ich bin 55. Sie hat wieder extrem abgenommen, ok sie war schon immer sehr dünn, aber sie hat jetzt Untergewicht und leidet sehr wieder unter ihren Zwängen. Ich habe wieder gesagt, sie sollte sich doch erst mal krank schreiben lassen und dann sehen wir weiter. Aber Ärzte meidet sie wie der Teufel das Weihwasser. Es ist auch müßig hier die ganze Geschichte wieder niederzuschreiben. Alle Geschichten hier ähneln sich doch irgendwie. 

Ich versuche immer auf mich zu achten, meinen Mann bei der ganzen Selbstaufgabe auch nicht zu vergessen, das klappt natürlich nicht immer, und im Moment stecke ich auch wieder in einem Loch. Es werden für mich wieder schlimme Zeiten kommen. Hast du denn Menschen, die dich auffangen? 

Vielleicht hätte man in jungen Jahren einfach seinen eigenen Weg gehen sollen, und die Verantwortung abgeben sollen. Für mich ist es zu spät. Ich könnte nur jüngeren Geschwistern sagen, überlegt es euch gut, ob ihr die Verantwortung für ein psychisch krankes Geschwisterchen übernehmt. Es ist eine Lebensaufgabe, man bekommt keinen Dank und keine Hilfe und lebt ständig in Angst, was als nächstes passiert. Und ich liebe meine Schwester und wünsche ihr so sehr etwas Glück im Leben. Aber es soll wohl nicht sein.

Ich wünsche dir alles Gute.
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#4
Hallo maulwürfel,
vielen Dank für deine Zeilen. Das hilft mir sehr. 
Ja, das mit dem von der Seele schreiben und zu wissen man ist nicht allein damit, das hilft.
Habe schon Menschen, die mich auffangen, aber ich kann mit niemanden darüber sprechen bzw. mich austauschen, weil diese Themen zu schwer und unglaublich sind für Menschen, die sich nicht täglich damit auseinandersetzen (müssen). So stellt es sich zumindest bei mir dar.
Daher freue ich mich über diese Plattform, dass es hier die Möglichkeit gibt, sich die Sachen zumindest von der Seele zu schreiben und dadurch vielleicht einigen "Mitlesern" helfen zu können. Gleichzeitig ist es natürlich sehr wertvoll Geschichten anderer Geschwister zu erfahren, damit man merkt, dass man nicht alleine damit ist. Wahrscheinlich ist es bei vielen auch noch ein "Tabu"-Thema. Ich persönlich glaube, dass die Gesellschaft aufgeklärt werden sollte und sich die Stigmatisierung verbessern sollte. Das Buch "übersehene Geschwister" von Jana Hauschild hat mir hier sehr geholfen und es ist mir ein Anliegen möglichst viele Menschen zu erreichen, die eine ähnliche Situation durchleben wie ich und so vielleicht ein bisschen besser Entscheidungen treffen zu können wie es mit Angehörigen und Geschwistern laufen kann. Gleichzeitig muss jeder von uns durch seine eigene Situation und seine eigenen Entscheidungen vor allem für sich selbst treffen. Gut auf sich selbst zu achten ist bei alledem wahrscheinlich das schwierigste und gleichzeitig das wichtigste.
Ich danke dir auf jeden Fall für deine Rückmeldung und wünsche dir viel Kraft für alles was kommt.
werwoiss
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#5
Hallo zusammen,

auch wenn das Thema älter ist: ja, das kenne ich. Ebenfalls mit einem Geschwister. Sie ist vermutlich an Narzissmus erkrankt. Ich habe den Kontakt nach dreißig Jahren unzähliger Versuche aufgegeben, nachdem ich einfach rein gar nichts mehr für sie empfunden habe: weder Wut, noch Trauer, noch sonst irgendetwas. Sie war einmal mehr übergriffig geworden und mischte sich in Angelegenheiten ein, die sie nichts angingen und ich ihr das Eingreifen mehrfach untersagte. Einmal mehr habe ich gelernt, das Liebe einen Menschen nicht immer so erreichen kann, wie ich es mir gewünscht hätte und dass man den Anderen nicht verändern kann - außer: Er oder sie erkennt es selbst.

Hin und wieder frage ich mich, ob es richtig war. Doch ist es letztlich reiner Selbstschutz.

Liebe Grüße
Einstellungen sind wichtiger als Tatsachen.
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#6
Hallo ihr Lieben,

Ich bin erst zugestehen und lese diesen veralteten Beitrag. 

Mir geht es sehr identisch in vielerlei, ja sogar in aller hier erwähnten Hinsichten. Ich kann so sehr mitempfinden.

Aber zu dem Beitrag mit dem narzistischen Familienmitglied kann ich nur sagen, ich vermute bei Mutter ein solches wenn nicht sogar mehr Symptome an Krankhe5.
Denn meine Mutter war sehr gewaltbereit und ist es noch heute. Sie hat uns Geschwister als Kinder geschlagen und teilweise gefoltert, mich sogar bis in mein 30. Lebensjahr hinein. Irgendwann habe ich mich gewehrt und somit hat sie es gelassen. Aber was sie jetzt mit mir macht ist extrem schlecht über alles wofür ich mich entscheide schlecht zureden. Es kommt so unheimlich selten vor, dass sie mal sagt, daß hast du gut ge,acht.
Im Nachhinein sehe ich aber, dass sie das was sie so niedergemacht hat selbst auch nachgemacht hat oder es dann bei ihren Söhne, Enkelkindern oder ihren Schwiegertöchtern lobt, bei mir. 

Oder auch sich einmischt wo ich denke, ich habe sie nicht gefragt.

Ich habe seit kurzem Garten Kontakt mehr mit ihr, da ich an meine Gesundheit denken muss.  Den  ich habe sie letztens aus meinem Haus geworfen. Das alles ist mir einfach zu viel geworden...
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#7
Hallo werwoiss und und alle Antwortenden,

bis ich Mitte Zwanzig war, habe auch ich mir große Sorgen um meinen an Schizophrenie erkrankten Bruder gemacht, bis hin zur Selbstaufgabe - wobei mein Fokus schon immer auf dem vollkommen entmündigenden Verhalten meiner Mutter lag. Die beiden haben bis zum heutigen Tage ein symbiotisches Verhältnis.

Mit 20 Jahren bin ich, in einer sehr problematischen, lang anhaltenden Phase unseres Familienlebens, mit meiner anerzogenen Haltung der grenzenlosen Verantwortungsübernahme, "an die Wand gefahren". Letztendlich musste ich mit der Diagnose "Überforderung und Vorbeugung einer psychischen Erkrankung" für sieben Wochen in einer psychosomatischen Kur. Auch anschließend bin ich noch längere Zeit in Therapie gewesen.

Oft habe ich in der Kurklinik, in Bezug auf die Situation meines Bruders, Sätze angefangen mit den Worten "Ich muss …", "Ich muss …", "Ich muss …". Eine Schlüsselerkenntnis war dann die Aussage einer Mitarbeiterin die mir erklärte, dass ich aus eigenem Impuls nichts tun könne, wenn mein Bruder nicht den Willen aufbringen kann, an seiner Situation etwas ändern zu wollen. 

Über diese Erkenntnis war ich erst einmal erschüttert, letztendlich jedoch bin ich sehr froh über sie. Und ich bin froh darüber, dass mein Zusammenbruch in jungen Jahren passiert ist. Er war für mich ein Anstoß, meine Rolle in meiner Familie schon früh zu reflektieren, was mir im späteren Leben oft geholfen hat. (Sehr dankbar bin ich sowohl für meine Erkenntnisse an sich als auch für das früh erlernte Bewusstsein, mir bei Bedarf Hilfe holen zu können.) 

Jetzt habe ich den Spagat zwischen Selbstschutz und Fürsorge im Umgang mit meiner inzwischen 87jährigen Mutter. Vor Corona hatte ich ein sehr gutes Gespräch mit einer Pastorin, die viel Erfahrung in der Seniorenarbeit hat. Auch wir unterhielten uns über ein gutes Maß an Hilfeleistung für meine Angehörige. 

In dem Zusammenhang nannte sie das Beispiel von Feuerwehrmännern die gerufen werden, weil ein Mensch in einen Brunnen gefallen ist. Es ist ein Appell dafür, auf sich selber zu achten, wovon Du, werwoiss, schon geschrieben hast.
Bevor die Feuerwehrmänner aktiv werden denken sie als erstes an ihren Selbstschutz, um heil aus der Situation kommen zu können. (Was für die eigene künftigen Tage wichtig ist, wie auch für die der Angehörigen. Wenn wir ausfallen, können wir auch ihnen keine Hilfe mehr sein.) Sollte der in Not geratene Mensch keine Hilfe annehmen wollen, sondern mit gezogenem Messer in dem Brunnen sitzen, gehen die Feuerwehrmänner erst gar nicht herunter.

@werwoiss, Du fragst Dich, ob Du mehr tun müsstest, dass Du im Augenblick nicht sehen kannst. Wir sind alle nur Menschen. Unser aller Urteilsvermögen ist begrenzt und es gehört zu unserer Natur, Fehler zu machen. Mehr Möglichkeiten, als nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln, hat niemand von uns. Mehr kann auch niemand von uns erwarten.

Wir haben einen sehr begrenzten Einfluss auf das Leben unserer Angehörigen, wie Sternchen schon schrieb. Und wir können und brauchen nur in dem Rahmen Verantwortung übernehmen, den unser Handlungsspielraum zulässt.

@ maulwürfel Warum ist es für Dich zu spät, Verantwortung abzugeben? Natürlich ist eine Richtungsbestimmung in jungen Jahren einfacher. Als "zu spät" würde ich es erst bezeichnen, wenn Du entscheidest, dass es zu spät ist. - Wobei ich nie sagen würde, dass eine Wende im Leben einfach ist. Eine "schräge Herangehensweise" kostet auch viel Energie.

Herzlichen Gruß 
Andrea
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#8
Hallo AndreaSö, 
vielen Dank für deine Zeilen.
Vor allem das Beispiel mit der Feuerwehr trifft es sehr gut. Danke.
Viele Grüße, 
werwoiss
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