Neu hier - Bruder mit Psychose, Mutter mit Demenz
#1
Guten Tag zusammen,

ich möchte mich gerne vorstellen und zugleich auch ein paar Fragen loswerden zu meiner/unserer aktuellen Situation.

Ein paar Eckdaten:

ich bin 52, berufstätig, in einer Beziehung, kinderlos, bin Betreuuerin (Vermögenssorge, Öffnen der Post, Gesundheitssorge, Vertretung gegenüber Behörden) meines Bruders, 57. Er hat eine "Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis" seit der Pubertät, also seit rund 40 Jahren, und lebt ca. 2 Stunden entfernt von mir in einer Einrichtung, arbeitet halbtags in einer WfbM.
Unsere Mutter, 84 Jahre, lebt wiederum 1 Stunde entfernt von ihm in ihrem eigenen Haus, betreut von einer Pflegerin. Sie ist körperlich mittlerweile sehr eingeschränkt und wird auch immer zerstreuter und vergesslicher. Sie erkennt noch alle, ist aber nicht immer zeitlich orientiert und verwechselt vieles.

Ich gehe jetzt mal nicht größer auf die Vorgeschichte ein, sondern beschreibe die aktuelle Situation und die daraus resultierenden Probleme.
  • Mein Bruder nimmt seit vielen Jahren Medikamente, u.a. Tavor und viele mehr. Er ist Kettenraucher, Kaffeetrinker, Messi und ist vom Kleidungsstil her ziemlich verwahrlost. Zudem redet er wie ein Wasserfall, allerdings natürlich sehr inkohärent.
  • Mein Bruder besucht meine Mutter ca. alle 2 Wochen bei ihr zuhause in dem Ort, wo auch er früher gewohnt hat. Er kommt mit der Bahn und fährt gegen abend wieder mit der Bahn zurück.
  • Während dieser Besuche herrscht Aufruhr, Streit, Geschrei und Tränen. Das war schon immer so, wird aber zunehmend schlimmer. Grund ist, dass meine Mutter sich wie seit 40 Jahren immens darüber aufregt, wie er sich kleidet (dreckige, unpassende, zerlumpte Kleidung, Sandalen im Winter, offener Hosenstall etc.) und er ihre Anweisungen, sich ordentlich anzuziehen,weniger zu rauchen etc. zunächst ignoriert und dann irgendwann seinerseits ärgerlich wird.
  • Das Ganze endet dann damit, dass meine Bruder zurück in die Einrichtung fährt und unsere Mutter in Tränen aufgelöst und völlig verzweifelt ist. Sie ruft mich dann an und klagt immer wieder darüber, wie es mit ihm ist und dass die Leute in der Einrichtung nicht richtig für "den Jungen" sorgen, was denn nur aus ihm werden soll, wenn sie mal nicht mehr ist etc.

Und so wiederholt sich das.
Es wird natürlich schlimmer, je weniger meine Mutter selbst tun kann und je mehr sie auf andere vertrauen muss, dass es meinem Bruder so gut geht, wie es ihm gehen kann.

Ich selbst habe es ziemlich aufgegeben, etwas an seinem Verhalten und seinem Auftritt ändern zu wollen - meine Lösung ist, dass er nicht mehr in meine Wohnung kommt und ich auch sonst recht viel ABstand halte.

Ich frage mich nun: gibt es irgendwas, was ich tun kann, außer mich selbst zu schützen?
In der Einrichtung, in der er lebt, ist er schon seit 20 oder 25 Jahren, ich habe also keinen Vergleich, wie gut sie ist oder ob die Leute es sich dort doch sehr einfach machen.
Ich suche natürlich immer wieder das Gespräch, telefonisch, per Mail und persönlich, aber sehr oft läuft es darauf hinaus, dass mir gesagt wird: Wir können da auch nichts machen, wenn er nicht will.
Klar, solange er nicht andere oder sich selbst gefährdet, kann man ihn zu nichts zwingen, aber gibt es für echte Fachleute wirklich so wenige Interventionsmöglichkeiten?


Ich sitze natürlich zwischen allen Stühlen, aber das geht wohl den meisten hier so :-(

Danke für eure Ideen und viele Grüße


Mathilde
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#2
Liebe Mathilde,

die "Verwahrlosung" ist schlicht ein Symptom der Erkrankung, so würde ich es sehen - dagegen kann man genauso viel oder wenig unternehmen, wie gegen alle anderen Symptome, wenn es auch sicher keine speziellen "Medikamente dagegen" gibt - ich vermute, Du siehst das ähnlich, und Deiner Mutter fällt es (ich glaube wie allen Müttern) sicher umso schwer, das so sehen zu können.
Ob die Einrichtung gut oder nicht gut ist, hängt aus meiner Sicht im Wesentlichen davon ab, ob Dein Bruder dort klarkommt, ob es ihm gut geht, ob er überhaupt die Hilfe dort annehmen kann.

Eigentlich schreibe ich aber, weil ich vor einer Weile einen 78-jährigen (!) Bruder interviewt hatte, dessen Interview ich Dir gerne schicken möchte - Dein Beitrag erinnert mich sehr an seine Geschichte, auch wenn er sicher ebenfalls keine guten "Lösungen" parat hat. Wenn Du Lust zu lesen hast, sag mir Bescheid! Manchmal hilft es ja, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken, um sich selbst ein bisschen besser positionieren zu können.

Herzliche Grüße,
Hannah
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#3
(19.03.2019, 00:59)Hannah schrieb: die "Verwahrlosung" ist schlicht ein Symptom der Erkrankung, so würde ich es sehen - dagegen kann man genauso viel oder wenig unternehmen, wie gegen alle anderen Symptome, wenn es auch sicher keine speziellen "Medikamente dagegen" gibt - ich vermute, Du siehst das ähnlich, und Deiner Mutter fällt es (ich glaube wie allen Müttern) sicher umso schwer, das so sehen zu können.
Ob die Einrichtung gut oder nicht gut ist, hängt aus meiner Sicht im Wesentlichen davon ab, ob Dein Bruder dort klarkommt, ob es ihm gut geht, ob er überhaupt die Hilfe dort annehmen kann.

Eigentlich schreibe ich aber, weil ich vor einer Weile einen 78-jährigen (!) Bruder interviewt hatte, dessen Interview ich Dir gerne schicken möchte - Dein Beitrag erinnert mich sehr an seine Geschichte, auch wenn er sicher ebenfalls keine guten "Lösungen" parat hat. Wenn Du Lust zu lesen hast, sag mir Bescheid! Manchmal hilft es ja, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken, um sich selbst ein bisschen besser positionieren zu können.

Herzliche Grüße,
Hannah

Hallo Hannah,

danke für deine Nachricht. Ja, du hast natürlich recht, die Verwahrlosung ist ein Symptom, und ja, meine Mutter kommt darüber nicht hinweg.

Mein Bruder kann Hilfe von dort annehmen, aber sie zeigt wenig Wirkung - in den letzten Jahren dreht sich die Situation auch zum Schlechteren hin, das heißt, er tut Dinge, die er früher nicht gemacht hat und die sehr problematisch sind.
Z.B. benimmt er sich wohl grenzwertig gegenüber Mitarbeiterinnen der WfbM, in der er arbeitet, zeigt ein Verhalten, das an sexuelle Belästigung grenzt. Und hat wohl auch schon mal in einem Schwimmbad öffentlich masturbiert und hat dort dann ein Hausverbot kassiert.
Er bettelt wohl auch in der Stadt und hat Alkohol getrunken (was natürlich im Kontext mit seinen Medikamenten ganz übel ist)

Ich weiß also nicht einzuschätzen, ob das der "normale" Lauf der Dinge ist oder ob die Einrichtung da nicht alles tut, was sie könnte.
Ich überlege, ob ich eine außerordentliche Hilfeplankonferenz herbeizuführen versuche mit dem Ziel, mehr Fachleistungsstunden für ihn zu bekommen... Andererseits gab es erst vor wenigen Monaten eine, die u.a. zum Ergebnis hatte, dass er außer einer betreuten WG wieder in die Einrichtung gewechselt ist.

Das Interview würde mich interessieren, ich freue mich, wenn du es mir schicktst.

viele Grüße von Mathilde
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