Keine Hilfe bei schizophrener Psychose?
#1
Hallo, ich (43) bin neu hier und froh über Austausch. Obwohl mich das Thema "schizophrene Psychosen" schon seit 30 Jahren begleitet, da sowohl mein Bruder als auch meine Schwester betroffen sind, steht man in jeder akuten Phase wieder genau so hilflos da wie sonst.

Mein Bruder (45) hat nun gerade seine achte oder neunte Psychose. Er hat vier Jahre lang Neuroleptika genommen, dann abgesetzt, weil er sich zu gleichförmig fühlte. Nun ist die Psychose wieder voll ausgebrochen. Er hat furchtbare Wahnvorstellungen, Halluzinationen, trifft sich mit dem Teufel, seine Freunde sind hinter ihm her, es wurde bei ihm "eingebrochen" etc. - und wir können nichts machen. Meine Eltern sind alt und selbst am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Jegliche Hilfe durch Medikamente, Klinik etc lehnt mein Bruder rigoros ab. Ich war bei ihm und selbst diesen Besuch empfand er als übergriffig. Zu seinem Psychiater will er nicht mehr gehen und "nie wieder Medilamente". Alle Hoffnungen, ihn zur "Einsicht" zu bringen, mit Richtern und Ärzten zu sprechen oder irgendwie zu helfen, ruhen immer auf mir, der einzig "Gesunden" in der Familie. Meine Erfahrung ist allerdings, dass sich alle vermeintlichen Helfer auf die Rechtslage berufen, nach der man nichts machen können, so lange mein Bruder für sich oder andere keine Gefahr darstellt. Muss er denn erst wieder über dreispurige Autobahnen rennen oder jemanden schlagen, bis jemand hilft? Man sieht hilflos zu, wie er in nur einer Woche alle Freunde verstört, die Nachbarn in Panik versetzt, barfuß im Wald rumrennt und was weiß ich noch was für Verrückte Dinge tut. Ich bin so ratlos.

Und wer hilft eigentlich uns Geschwistern? Ich habe selbst zwei Kinder, einen Job und muss mein Leben irgendwie managen. Zusätzlich die ständigen Anrufe meiner Eltern und Schwester bezüglich meines Bruders. Alles dreht sich nur um ihn und die Frage, wie wir ihm aus der Psychose helfen können. Auf der anderen Seite er, der gar keine Hilfe will und uns statt dessen noch wüst beschimpft. Wenn man seinen Psychiater fragt, was wir tun sollen, heißt es nur: Wenn er Sie bedroht, rufen Sie die Polizei oder den Notarzt. Das tut er aber nicht. Sollen wir ihn jetzt seinem Schicksal überlassen und tatenlos zusehen, wie er verrückt spielt?

Vielleicht kennt jemand diese akuten Krisen und hat einen hilfreichen Vorschlag. Mein Bruder wohnt in einer Großstadt, wo eigentlich alle Hilfen vorhanden sein müssten. Theoretisch.

Danke und liebe Grüße, Hannelore
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#2
Hallo Hannelore,

ganz klare Antwort von mir, leider keine gute, es hilft dir wahrscheinlich keiner. Ich bin 53 Jahre, kümmere mich seit ewigen Zeiten um meine Schwester und mir hat nie einer,außer mein Mann, geholfen. Leider auch aus meiner Familie keiner. Ich kann dir leider keinen Rat geben. Ich will dir nur sagen, es tut mir für jeden Leid, der das gleiche Schicksal wie ich teilen muss. Man gibt so viel von seinem eigenen Leben auf, und wird auch mit krank. Bei meiner Schwester läuft es im Moment etwas besser, sie hat einen schlecht bezahlten Job auf Probe. Ich habe aber immer im Hinterkopf, wann kündigt sich wieder die nächste Katastrophe an. Telefonklingeln ist mir mittlerweile so verhasst, das ich am Liebsten gar nicht dran gehen würde. Überhaupt würde ich mich gerne mit meinem Mann ins Auto setzen und alles hinter mir lassen. Dir geht es bestimmt genauso. Dieses ewige Kopfkino ist so schrecklich. Mittlerweile habe ich zu hohen Blutdruck. Wenn mein Arzt fragt, würde ich am liebsten sagen, wie sollte der auch jemals runter gehen, trotz Tabletten. Mache ich aber auch nicht mehr. Ich bin es so leid, jedem meine Geschichte zu erzählen. Hier im Forum weiß ich, da lesen Menschen, die das selbe Schicksal teilen, da tausche ich mich gerne aus, wenn es die Zeit zulässt, die ja bei uns Kümmerern knapp ist.

Ich wünsche dir alles Gute, vielleicht tut sich ja irgendwo doch noch eine Hilfe für dich auf, ich wünsche es dir. Falls nicht. Du wirst ihn nicht ändern, sei da, wenn er dich braucht und gehe auf Abstand, wenn es gar nicht mehr geht. Du hilfts ihm und besonders dir auch nicht, wenn du auch noch zusammen brichst.
Alles Liebe
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#3
Hallo Hannelore,

es ist tatsächlich so, dass Kliniken und Ärzte da auch die Hände gebunden sind wenn keine Egen- oder Fremdgefährdung vorliegt. Da in Deutschland der Schutz Selbstbestimmung (weiß nicht ob man das so nennt was ich meine) eben ein sehr hohes Gut ist und niemand einfach so gegen seinen Willen eingesperrt werden darf.
Das macht es natürlich nicht leichter deinem Bruder beim "verrückt" werden zu zusehen. Vielleicht könnt es dir für dich persönlich helfen einmal HIlfe in einer Beratunsstelle oder bei einem Therapeuten zu suchen und zwar nicht nur mit dem Ziel was kannst du für deinen Bruder tun sondern was kannst du für dich tun? Ich muss sagen ich habe davon sehr profitiert. Oder vielleicht gibt es eine passende Selbsthilfegruppe in deiner Nähe?
Ich wünsche dir ganz viel Kraft!
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#4
hi [Bild: https://forum.geschwisternetzwerk.de/ima.../smile.png]

ich bin zwar noch ganz neu hier, aber leider was das ganze thema betrifft schon sehr lange involviert.
bei meinem bruder brach mit 19 die psychose durch und aus und er ist seitdem immer mal wieder in funktionalen und dysfunktionalen phasen.

vllt ist es ein vorteil, dass wir scheidungskinder sind und ich seit meinem 12 lebensjahr für ihn mit-ersatz-mama war. dadurch habe ich auf ihn immer schon gut einwirken können und in akuten phasen auch freiwillig dazu gebracht sich in stationäre behandlung zu begeben.
vor kurzem haben wir nun endlich auch alles rechtlich geregelt, so dass selbst wenn er mal nicht gewillt/in der lage ist, ich für ihn entscheiden kann und darf.

so lange er sich kooperativ zeigt ist es nur eine generalvollmacht/patientenverfügung, aber sollte es notwendig werden kann ich das in eine betreuung umwandeln lassen.
(nicht das ich das möchte, aber gerade psychosen werden im alter oft noch unkontrollierbarer)

ich habe mir unterstützung durch den paritätischen verein geholt und dort auch jederzeit jemand der mit mir gemeinsam wege geht die ich nicht alleine schaffe oder zu gehen weiss.
vllt wäre es für euch auch eine möglichkeit euch über eine patientenvollmacht etwas mehr handlungsspielraum zu schaffen.
(das wichtigste argument für meinen bruder war, dass es sonst im akutfall eben auch "irgendwer" sein kann der ihm als betreuer vorgesetzt wird und das für ihn absolut unvorstellbar ist)
für mich macht es alles etwas einfacher, denn ich bleibe handlungsfähig unabhängig davon ob er gerade zugänglich ist oder nicht.
allerdings haben wir auch ein sehr gutes vertrauensverhältnis und ich würde nur im notfall von meinen gegebenen rechten "über seinen kopf hinweg" gebrauch machen.

aber unabhängig davon ob er nun kooperativ oder zugänglich ist, sprecht doch einfach mal mit dem gesundheitsamt oder einem passenden verein vorort vllt haben die noch mehr ideen wie man ihn in seinem zustand erreichen oder ihm helfen kann dort wieder herauszufinden.
und vor allem, wie ihr euch schützen könnt um weiterhin ein eigenes leben genießen zu können ohne dabei ständig auf die nächste katastrophe zu warten.

viel kraft und hoffentlich eine gute lösung für euch alle.
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#5
Danke für Eure Antworten! Mein Bruder ist inzwischen in der Klinik, nachdem meine Eltern den Notarzt gerufen haben. Er ist dann "freiwillig" mitgegangen, weil er weiß, dass er dann jederzeit wieder gehen kann. Es ist immer dasselbe. Die Idee mit der Patientenvollmacht hört sich interessant an. In der Klinik erarbeiten sie gerade mit meinem Bruder einen Krisenplan für das "nächste Mal". Das Problem ist nur, dass man sich ohne Krankheitseinsicht ja auch nicht mehr an irgendwelche Krisenpläne hält. Aber es gibt aber jetzt zudem auch ein Modellprojekt in der Klinik, nach dem man als Angehöriger die Klinikmitarbeiter informieren kann, wenn der Patient wieder akut krank wird. Die würden ihn dann aufsuchen und Hilfe anbieten. Ein guter Ansatz, denke ich, wobei mein Bruder ja eigentlich immer jede Hilfe ablehnt, bis der Notarzt mit Polizei anrückt.

Ich war neulich zum ersten Mal in einer Angehörigengruppe. Das hat mir sehr geholfen, vor allem die hauptsächliche Botschaft: Ich bin nicht für meine erwachsenen Geschwister verantwortlich, ich kann nur so viel leisten, wie es eben geht, und ich habe auch ein Anrecht auf ein eigenes Leben. Wenn ich vor lauter Sorgen oder Kümmern um andere zusammenbreche, hat niemand was davon. Es ist immer leicht gesagt, dass man sich um sich selbst kümmern soll, aber ich versuche es ein bisschen. Zum Beispiel, indem ich nur noch bei jedem dritten Anruf ans Telefon gehe. Das hat mir schon mal ein bisschen Erleichterung verschafft. Ein anderer Angehöriger sagte, man solle dem Kranken die "Fernbedienung" wegnehmen. Das fand ich ein sehr treffendes Bild.
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